Leipzig siegt weiter:Der perfekte Überfall

Lesezeit: 3 min

RB Leipzig wird zum ernsthaften Konkurrenten des FC Bayern. Der Karambolagen-Fußball von Ralph Hasenhüttl ist sogar für Leverkusen zu viel - und das Leipziger Selbstbewusstsein wächst.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Ralph Hasenhüttl saß nach der getanen Arbeit glücklich auf dem Pressepodium der Leverkusener Arena und musste sich beherrschen, dass er nicht gleich vor Stolz und Freude durch den Saal tanzte. Der Leipziger Trainer blieb beim 3:2-Sieg ja nicht nur im elften Saisonspiel ungeschlagen - das ist noch keinem Aufsteiger in 53 Jahren Bundesliga gelungen -, seine Mannschaft übernahm am Freitagabend zudem die Tabellenführung. Beruhigen konnte sich Hasenhüttl, indem er dazu etwas Staatstragendes mitteilte: "Es tut der Liga gut, dass der FC Bayern erstmals seit Jahren als Zweiter zu einem Auswärtsspiel fährt."

Da konnte er noch nicht wissen, dass die Tabellenführung der Leipziger angesichts der Bayern-Niederlage in Dortmund auch am Samstagabend noch Bestand hatte. Leipzig ist damit der erste Bundesliga-Spitzenreiter aus den neuen Bundesländern seit Hansa Rostock im Jahr 1991.

Auf der anderen Seite saß am Freitagabend der geknickte Trainerkollege Roger Schmidt. Der Leverkusener musste bilanzieren, dass Leipzig die Fehler und Schwächen seiner Mannschaft "ausgenutzt und sich den Sieg verdient" habe. Das sagte er unter schwerem Seufzen, "wir haben gut gespielt, aber nicht gut genug". Was vor allem damit zu tun hatte, dass die Niederlage nicht nur auf einen von Hakan Calhanoglu fahrlässig vergebenen Elfmeter sowie den heftigen Blackout von Torwart Bernd Leno und seinen Vorderleuten beim 2:2 zurückzuführen war, sondern, und das macht Leipzig nun tatsächlich zu einem immer ernsthafteren Bayern-Konkurrenten, auf die mehr oder weniger konstante Überlegenheit des Gegners.

Die Partie begann genau so, wie die Akteure es erwartet hatten. "Wir wussten, dass das Spiel turbulent werden könnte", berichtete Willi Orban, der RB-Kapitän und Schütze des 3:2 in der 81. Minute. Tatsächlich ging es so geschwind los, dass noch nicht jeder Spieler am Ball gewesen war, als es bereits 1:1 stand. Kampls Führungstreffer (2.) glich dessen Mitspieler Baumgartlinger mit einem Eigentor aus (4.). Dafür konnte man ihm im Prinzip keinen Vorwurf machen, es war ein Unglück, aber der Mittelfeld-Zweikämpfer Baumgartlinger gab auch sonst keine geeignete Figur ab, er schien dem irrwitzigen Tempo des Leipziger Spiels nicht standhalten zu können.

Leipziger Ekstase: RB gewinnt gegen Leverkusen und grüßt von der Tabellenspitze. (Foto: Marius Becker/dpa)

Leipzigs Fußball gleicht einem organisierten Überfallkommando

Es ist keine Beleidigung, den Leipziger Fußball als gewaltsam zu bezeichnen, er entspricht einem organisierten Überfallkommando. Da die Leverkusener eine artverwandte Variante aufführen, sahen die Zuschauer während der ersten Hälfte ein Spiel, das eher dem Verkehrsfunk glich als einer Sportveranstaltung: Rund um den Ball herrschte extrem hohes Verkehrsaufkommen, bei permanenten Geschwindigkeitsüberschreitungen häuften sich Unfälle und Karambolagen, alle paar Minuten musste der medizinische Notdienst ausrücken.

Leverkusens Wendell und Leipzigs Sabitzer schafften es noch mittels Kopfverbänden, die Folgen ihre Kollision auf dem Platz zu überstehen. Marvin Compper hingegen musste nach einem Zusammenprall mit mehreren Bayer-Profis vom Feld humpeln. Später traf es auch den guten Calhanoglu, dem Keita einen brutalen Tritt gegen das Schienbein verpasste. Insgesamt sah die Partie aus, als wären hyperaktive Kräfte entfesselt worden. Beim Betrachter kam Sehnsucht nach Ruhe und Gelassenheit und eleganten Beckenbauer-Pässen auf.

Nach einem Treffer von Julian Brandt (45+1.) ging Leverkusen dann jedoch etwas glücklich mit einer Führung in die Kabine. Doch von diesem Novum ließ sich Leipzig nicht stören: "Dann sitzt du in der Kabine im Rückstand, das erste Mal in dieser Saison überhaupt", erzählte Hasenhüttl hinterher. "Wir haben dann versucht, das wegzuschieben. Nicht lange brodeln lassen, gleich raus aus den Gedanken."

So ging es dann weiter. Leipzig agierte wacher und zielbewusster. Ein Grund bestand in Emil Forsbergs glänzendem Mittelfeldspiel, ein anderer in der einstudierten Leipziger Eigenschaft, bei jeder Gelegenheit ohne auch nur eine Millisekunde Zeitverlust mit einem steilen bzw. direkten Pass den Blitzkonter zu suchen. Dass dann Forsberg den Ausgleich schaffte, lag jedoch mehr an Leverkusens Leno, keine Frage. "So einen Schuss aus 25 Metern kann man auch mal halten", sagte Schmidt. Der Bundestorwarttrainer Andreas Köpke auf der Tribüne verbarg vor Entsetzen sein Gesicht in den Händen.

Leverkusen kann nicht mehr retten: Leipzigs Willi Orban (l.) dreht nach seinem Kopfball zum 3:2-Siegtreffer schon zum Jubeln ab. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)

Leverkusener Fans bewerfen Leipzigs Bus mit Farbbeutel

Auch beim 3:2 machten die Leverkusener nicht alles richtig, das Tor fiel jedoch vor allem deshalb, weil die Leipziger es perfekt inszenierten. Sie erzwangen mit Geschick Kampls Ballverlust, Forsberg schlug die perfekte Flanke, Orban setzte den perfekten Kopfball, es war ein Treffer, der folgerichtig wirkte. "Vielleicht waren sie in der zweiten Halbzeit noch mehr da, sie wollten das Spiel unbedingt gewinnen, und wir haben nachgelassen", sagte Nationalspieler Jonathan Tah.

Möglicherweise hatte dieser Siegeswille auch mit der Farbbeutel-Attacke auf den Mannschaftsbus zu tun, die ein paar Vermummte bei der Anreise der Gäste unternommen hatten. An Einigkeit und angewandter Motivation ist dieses Leipzig jedenfalls schwer zu überbieten. RB-Kapitän Orban wurde später gefragt, ob die Mannschaft sich nun als Tabellenführer mit dem FC Bayern vergleiche.

Dies wies er entschieden zurück. Nicht aus Gründen der Bescheidenheit, sondern aus purer Vernunft: "Das machen wir nicht, weil wir noch nie gegen die gespielt haben. Mit Bayern beschäftigen wir uns, wenn es im Dezember so weit ist." Klingt nicht nach Kleinmut. Auch Kollege Roger Schmidt glaubt, dass der amtierende Meister und der Aufsteiger aus Sachsen kurz vor Weihnachten ein Spitzenspiel bestreiten werden: "Ich sehe keinen Grund, warum Leipzig das nicht durchziehen sollte."

© SZ vom 20.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: