Leichtathletik:Von Schocksituationen und Weltrekord

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Deutschlands Leichtathleten erlebten in Athen die größte Olympia-Pleite seit 92 Jahren - die rühmliche Ausnahme bildet da Silbermedaillen-Gewinnerin Steffi Nerius. Die Akzente setzen derweil andere Nationen.

Neben Speerwerferin Steffi Nerius kann allein Kugelstoßerin Nadine Kleinert, ebenfalls mit Silber dekoriert, Edelmetal vorweisen. Eine derartig schlechte Bilanz hatte es bei Sommerspielen zuletzt 1912 in Stockholm gegeben. Mitten im deutschen Fiasko, das auch Geher Andreas Erm und die Stabhochspringer erfasste, gaben Hürdensprinter Xiang Liu in Weltrekordzeit von 12,91 Sekunden und 10.000-m-Siegerin Xing Huina (beide China) einen Vorgeschack darauf, was die Welt bei Olympia 2008 in Peking erwartet.

Einer der Sieger des Tages - mit Weltrekord über die 110 m Hürden: Der Chinese Xiang Liu. (Foto: Foto: dpa)

Steffi Nerius, im Vorjahr WM-Dritte, glückte der große Wurf im letzten Versuch mit persönlicher Bestweite von 65,82 m. Zuvor hatte der EM-Zweite aus Leverkusen nur ein Zentimeter an Bronze gefehlt. "Ich war in Sydney schon vierte, es konnte nich nochmal passieren. Die deutschen Leichtathleten hatten so viel Pech, das musste ich mal drehen und es musste klappen", meinte die 32-Jährige nach dem größten Erfolg ihrer Laufbahn.

Der Tag begann für das deutsche Team mit dem Schock der Disqualifikation für Mitfavorit Andreas Erm (Potsdam) im 50-km-Gehen und der Aufgabe des 20-km-Achten Andre Höhne (Berlin) wegen Muskulatur-Problemen. Die Serie setzte sich fort mit dem Ausscheiden der als Weltranglisten-Zweiter angereisten 4x100-m-Staffel der Männer, dann verpasste wie befürchtet die 4x400-m-Staffel mit Grit Breuer das Finale und Bianca Kappler (Rehlingen) mit 6,66 m als Neunte den Weitsprung-Endkampf.

Augenblicke später strich Tim Lobinger (Köln), am Ende Elfter, mit 5,55 m die Segel im Stabhochsprung. Lars Börgeling wurde mit 5,75 m Sechster und sein Leverkusener Klubkamerad Danny Ecker scheiterte mit gleicher Höhe als Fünfter knapp an Bronze.

Die Sieger des Tages

Neben dem 21 Jahre alten WM-Dritten Xiang Liu, der den Weltrekord des Briten Colin Jackson von der WM 1993 in Stuttgart egalisierte, waren dies die Sieger des Tages: Bei den Männern im 50-km-Gehen der zum vierten Mal bei Olympia siegreiche Pole Robert Korzeniowski in 3:38:46 Stunden. Bei den Frauen triumphierte im Weitsprung - wie von Vorgängerin Heike Drechsler prophezeit - Tatjana Lebedewa (7,07) beim russischen Dreifach-Erfolg, im Speerwerfen Weltmeisterin Osleidys Menendez (Kuba), die mit 71,53 m ihren drei Jahre alten Weltrekord um nur einen Zentimeter verfehlte.

In der 4x-100-m-Staffel gewann Jamaika in der Besetzung Tayna Lawrence, Sherone Simpson, Beverly McDonald und Aleen Bailey in 41,73 Sekunden. Die USA wurden disqualifiziert, nachdem beim Wechsel von Marion Jones zu Lauryn Williams der Stab gefallen war. Jones, die zuvor im Weitsprung Fünfte geworden war, bleibt nach ihrem Dreifach-Erfolg von Sydney damit in Athen ohne Medaille.

Xiang Liu, der den Sensationssieg im Zielauslauf mit geballten Fäusten registrierte, war nach Korrektur der Siegerzeit auf 12,91 vollends aus dem Häuschen war, sagte nur wenige Sätze in die Kameras und Notizblöcke, dann verschwand er in den Katakomben der mit 74.000 Zuschauern erneut vollbesetzten Arena. "Ich bin stolz, als erster Chinese in einem Kurzstrecken-Finale gestanden zu haben. Ich hoffe, dass ich mit dem Gold das ganze chinesische Volk stolz machen kann. Und ich hätte nie geglaubt, dass ich unter 13 Sekunden laufen kann."

Alptraum für Erm

Der Goldtraum wurde zum Alptraum für Andreas Erm: Mit drei aus seiner Sicht völlig ungerechtfertigen Verwarnungen erlebte der WM-Dritte im 50-km-Gehen das bittere Ende seiner Hoffnungen und verpasste die ersehnte zweite Olympia-Medaille für das deutsche Team. "Ich weiß nicht, was unsauber gewesen sein soll", schimpfte der Potsdamer. Keine einzige Verwarnung erhielt dagegen Korzeniowski, der laut Fernseh-Bild zweifelsohne regelwidrig lief.

Der 35 Jahre alte Pole, der inclusive WM (3) und EM (2) sein neuntes Gold seit 1996 gewann, hatte den Potsdamer 20-km-Olympiafünften von Sydney zuvor als seinen größten Rivalen bezeichnet. Die 4x100-m-Staffel, die sich hinter den USA schon im Kampf um Bronze mit Brasilien und Jamaika wähnte, erlebte ein böses Ende der Medaillenhoffnungen im Vorlauf mit Rang sechs in 38,64 Sekunden.

"Wir haben den Job nicht gut gemacht. Die Zeit ist nicht so schlecht. Aber man kann nicht alles auf den schnellen Gegner schieben", meinte Tobias Unger, der am Vortag einziger Weißer im 200-m-Finale (7.) gewesen war. Der Kornwestheimer war an Position zwei hinter Ronny Ostwald (Köln) gelaufen, es folgten Alexander Kosenkow (Wattenscheid) und der zum Schluss enttäuschende Till Helmke (Friedberg-Pauerbach).

Während die beim Europacup siegreiche 4x400-m-Staffel der Männer mit Startläufer Ingo Schultz als Vorlauf-Vierte in 3:02,77 Minuten den Endlauf erreichte, lief die ebenfalls ohne Medaillenambitionen angereiste 4x400-m-Staffel am Finale vorbei.

Die lange verletzt gewesene Schlussläuferin Grit Breuer (Magdeburg), die bei der WM 1997 auf gleicher Bahn noch das Gold in einem furiosen Rennen gerettet hatte, wurde mit ihrem Quartett Vierte in 3:27,75 und verpasste das Finale um einen Rang. "Ich hätte gern nochmal im Endlauf gestanden. Wir haben alles gegeben, aber es hat nicht gereicht", meinte Breuer.

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