Leichtathletik-EM in Göteborg:"Heute habe ich Gold verdient"

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Steffi Nerius lässt beim Speerwurf alle hinter sich. Und beweist sich erneut als zuverlässige Medaillen-Beschafferin.

Steffi Nerius hatte den Vorkampf zum Speerwurf-Finale mit mäßiger Laune verlassen. Sie hatte sich mühelos qualifiziert mit einem ersten Wurf auf 63,35 Meter, aber der Wind störte sie und die leeren Ränge im Ullevi-Stadion morgens um halb zehn am Freitag.

Der Tag ihres größten Triumphs: Steffi Nerius freut sich über Gold im Speerwerfen. (Foto: Foto:)

Irgendwie schien ihr der Bezug zu dem Ereignis zu fehlen, und dass die Tschechin Barbora Spotakova einen Landesrekord von 66,12 Metern vorgelegt hatte, gefiel ihr auch nicht. Doch dann kam der Sonntag, ein guter erster Versuch auf 64,60 Meter, ein noch besserer vierter auf 65,82, und ein paar Minuten später muss das Ullevi-Stadion für Steffi Nerius wieder die schönste Sportstätte der Welt gewesen sein.

Barbora Spotakova blieb bei 65,64 Metern, und so wurde dieser graue, nasskalte Tag in Göteborg für Steffi Nerius zum Tag ihres größten Triumphes: Nach Jahren als zuverlässige Medaillen-Beschafferin für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) hatte sich Steffi Nerius aus Leverkusen, 34, diesmal etwas besonders Gutes getan. Sie wurde Europameisterin und konnte stolz von sich sagen: "Heute habe ich Gold verdient."

"Vom Kopf her viel freier"

Dieser Sieg ist der Höhepunkt einer langen Reise gewesen. Man kann gar nicht sagen, dass Steffi Nerius nicht schon angekommen wäre, seit Jahren schon sind die Zeiten vorbei, in denen sie sich selbst im Weg stand mit ihren Zweifeln und Ansprüchen. "Ich bin vom Kopf her viel freier, viel selbstbewusster", sagt sie. Aber ein großer Sieg fehlte eben noch, um ihrer Seele endgültig Ruhe zu geben. Ihre mentale Stärke ist dann wohl auch der Grund gewesen, dass sie Spotakovas Meisterwurf im Prolog gut verkraftete, ihn sogar in eine Art psychologischen Vorteil umwandeln konnte, in dem sie nämlich eine Bürde weiterreichte, die sie und ihre Offenburger Landsfrau Christina Obergföll bis dahin zu tragen hatten.

Steffi Nerius hatte nach dem Vorkampf erklärt: "Die Tschechin ist jetzt Favorit." Sie hatte Spotakovas weiten Wurf aufmerksam verfolgt, er hatte sehr locker ausgesehen und sie fürchtete durchaus, dass die frühere Mehrkämpferin sich steigern konnte. Aber Steffi Nerius weiß mittlerweile auch, was sie selbst kann. Sie sah den ersten Wurf der Spotakova im Wettkampf, der weit war und später als ihre Bestweite stehen bleiben sollte, aber sie war nicht beunruhigt: "Das ist alles im Rahmen, das kann ich auch." Sie freute sich auf den zweiten Teil des Wettkampfes, der nicht mehr so oft unterbrochen sein würde durch Siegerehrungen und andere Wettkämpfe wie der erste. Sie sagte: "Ich war schon sehr zuversichtlich.

Ihre Kollegin Obergföll, die Weltjahresbeste mit 66,91 Metern, Europarekordlerin und WM-Zweite, hatte viel mehr Mühe. Sie hatte vorher schon gesagt, dass ihre Technik noch nicht stabil genug sei, um Erfolge zu garantieren. Sie wirkte sehr entschlossen. Ihre Augen blitzen, sie atmete tief, sie sah aus wie ein blonder Vulkan vor dem Ausbruch. Doch ihr erster Wurf misslang: 55,29 Meter. Sie setzte sich einen Moment und blickte düster unter ihrer Kapuze hervor in den Regen.

Die nächsten Würfe waren besser, sie stieg sicher ins Finale der besten Acht auf, genauso wie Annika Suthe aus Leverkusen, 20, die mit 58,25 Metern überzeugte und am Ende Achte wurde. Kurz lag Christina Obergföll auf Platz drei, nachdem sie im fünften Versuch 61,89 Meter geschafft hatte, aber die Antwort der Spanierin Mercedes Chilla war gut (61,98), und so blieb ihr ein fader vierter Platz, mit dem sie wenig anfangen konnte.

Der Tag des größten Triumphs

Zum ersten Mal ging eine EM-Medaille im Speerwerfen an Spanien, und Christina Obergföll hatte den Eindruck, dass eigentlich sie diese Medaille hätte gewinnen müssen. Ihr war beim zweiten Versuch ein Schmerz in den Rücken gefahren. "Aber was mir mehr weh tut, sind die neun Zentimeter." Um die sie Bronze verloren hatte.

So hat Steffi Nerius die Bühne endlich mal für sich ganz alleine gehabt. Seit 2002 hat sie jedes Jahr beim Saisonhöhepunkt eine Medaille gewonnen, aber nie Gold. Im vergangenen Jahr bei der Weltmeisterschaft in Helsinki setzte dann auch noch Christina Obergföll an ihr vorbei mit ihrem Europarekord von 70,03Metern und verwies sie auf den Bronze-Platz.

Und man sah Steffi Nerius an, dass sie auch der Situation im Finale bis zum Schluss nicht traute. Sie machte Lockerungsübungen, sie schaute weg, als die anderen warfen, sie wirkte nervös. Barbora Spotakova lief zu ihrem letzten Wurf an. Ihr Abwurf misslang. Der Speer senkte sich früh. Steffi Nerius war am Ziel.

© SZ vom 14.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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