Legendäre Loser Teil I:Japans schlechtestes Rennpferd - ein Superstar

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Diese Karriere ist eine Katastrophe. Andere Rennpferde gewinnen und verlieren. Haru-urara verliert. Immer. Und doch ist "Lieblicher Frühling" Japans beliebtestes Rennpferd.

Von Henrik Bork

Bei ihrem Debüt galoppierte sie als Letzte über die Ziellinie. Seither ist sie meist unter den Nachzüglern zu finden. In fünf Jahren kam sie gerade vier Mal auf Platz Zwei. Haru-urara, "Lieblicher Frühling", ist Japans schlechtestes Rennpferd.

Gleichzeitig ist sie Japans beliebtestes Rennpferd. Die Serie von Niederlagen hat sich herumgesprochen, und die Japaner haben das Pferd gerade deshalb ins Herz geschlossen. 5000 Zuschauer, doppelt so viele wie sonst, kamen kürzlich zu Haru-uraras hundertstem Start auf der Rennbahn von Kochi im Südwesten des Landes. Viele Fans reisten dazu aus dem 500 Kilometer entfernten Tokio an.

Lauter Applaus

Haru-urara hielt nur die ersten 200 der 1300 Meter mit. Dann fiel sie zurück und belegte in alter Form den neunten Platz von zehn. Trotzdem erntete die Stute den lautesten Applaus. "Wir hätten nie gedacht, dass eine lahme Mähre ein solcher Star werden kann", sagte einer der Organisatoren.

Auf der Suche nach dem Grund für diesen Ruhm befragte der Fernsehsender NHK auf der Tribüne den 50-jährigen Versicherungsvertreter Masahiko Yahiro. "Wir einfachen Angestellten wissen nicht mehr, was morgen aus uns wird", sagt er. "Es sind harte Zeiten. Wenn ich dieses Pferd sehe, das nie aufgibt, dann macht mir das Mut."

Das ganbaru, das Immerweitermachen, das Nichtaufgeben, ist in Japan ohnehin eine Kardinaltugend. Und nach Jahren der Rezession können sich viele Menschen besser mit einem ewigen Verlierer identifizieren. Haru-urara bekommt säckeweise Fanpost.

"Weiter so! Ich bin 71 Jahre alt und bin auch noch nie irgendwo die Nummer Eins gewesen", steht da. Die japanische Post muss immer häufiger Päckchen voller Karotten befördern, die an "Fräulein Haru-urara" adressiert sind. Daraus flochten ihr die Rennbahnleiter für die hundertste Niederlage einen Kranz.

Sichtbar enttäuscht

"Diesmal wollte ich wirklich gewinnen", sagte Haru-uraras Besitzer und Trainer Dai Muneishi bei dieser "Verliererehrung" sichtbar enttäuscht. "Irgendwann schaffen wir es." Die Chancen dafür scheinen allerdings eher schlecht zu stehen. Selbst Muneishi gibt zu, dass Haru-urara für ein Vollblut vergleichsweise "klein und schwach" ist. Das Pferd frisst nicht gern. Es ist neurotisch.

Vor anderen Pferden hat es Angst und kann deshalb nur frühmorgens oder spätabends trainiert werden. Vor jedem Rennen bricht ihm der Angstschweiß aus. Stünde es nicht im Stammbuch, käme niemand auf die Idee, dies sei eine Tochter des berühmten Vollblut-Hengstes Nippo Teio, der einst den Emperor's Cup gewann. Der Züchter im nordjapanischen Hokkaido fleht Journalisten an, in Berichten über Haru-urara seinen Namen auszulassen.

Im vergangenen Sommer war Haru-urara kurz davor, wie die meisten Rennpferde am Ende ihrer Laufbahn, zum Schlachthof gebracht zu werden. Doch ihr Ruhm hat sie gerettet. Sie soll nach ihrer Pensionierung als Reitpferd auf einem Bauernhof weiterleben dürfen.

Bevor es soweit ist, will der Rennverein von Kochi die Stute als "schlechtestes Rennpferd der Welt" ins Guinness-Buch der Rekorde eintragen lassen. Selbst dieser Wettbewerb könnte allerdings verloren gehen, denn die Konkurrenz in dieser Disziplin ist beeindruckend schwach. Die australische Mähre Ouroene verlor in sieben Rennjahren stolze 124 mal. Und Zippy Chippy aus den USA verlor zwar nur 86 Rennen, ließ sich aber in einem Wettlauf über 40 Yards (rund 36 Meter) von einem Baseball-Spieler abhängen.

Wertlose Wettscheine

Für die Rennbahn von Kochi, die schon einmal kurz vor der Pleite stand, ist der Kult um Haru-urara ein Glücksfall. T-Shirts mit dem Foto des Dauerverlierers verkaufen sich wie verrückt. Und das Pferd zieht mit Abstand die meisten Wetten an. Die Leute wissen, dass sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das falsche Pferd gesetzt haben.

Doch sie behalten die wertlosen Wettscheine als Glücksbringer. Die Logik geht so: Weil der Schein beim Wetten kein Treffer war, wird er seinen Besitzer auch davor schützen, von einem Autounfall oder anderem Unbill "getroffen" zu werden. Koji Nakamura, einer der Spieler, will Haru-urara deshalb auf keinen Fall gewinnen sehen. "Das würde alles kaputt machen", sagt er.

© SZ v. 31.12.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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