Lance Armstrong:Zweite Karriere im Rock'n'Roll

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Bevor sich Lance Armstrong ins unbestimmte Rentnerdasein verabschiedet, gibt er ein letztes Mal die Inszenierung des kühlen Profis, der über den Dingen steht.

Von Andreas Burkert

St.Étienne/Paris - Ob er sich jetzt gerade diesen Ort einprägt? Das ist schließlich ein besonderer Ort, auch wenn man es ihr nicht ansieht, der Rue des Acieries.

Sieben Mal hat Armstrong die Tour gewonnen. Und nun? (Foto: Foto: AFP)

Vermutlich ist das hier sogar die hässlichste Ecke von St. Etienne, und wenn Lance Armstrong über die Köpfe des viehgleich in Barrieren zusammengezwängten Publikums hinweg schauen würde, könnte er eine ungepflegte Kleingartenanlage sehen, ein paar graue Wohnblöcke und morsche Strommasten.

Aber er hat sich ja für seinen letzten Sieg bei seinem letzten Radrennen quasi das eigene Zuhause mitgebracht, denn links vorne lugen Luke und Grace Elisabeth und Isabelle Rose hoch zum Daddy, auch deren Großmutter winkt ihm zu und natürlich seine Partnerin Sheryl Crow, die in den vergangenen drei Wochen so omnipräsent gewesen ist, als sei sie mit ihren sehr weißen Zähnen ein Schaustück der Werbekarawane.

Sogar der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry darf sich diese historischen Minuten im Familienkreis des Champions anschauen, obwohl Armstrong ein Bush-Mann ist. Lance Armstrong hat sich das alles nicht sehr genau eingeprägt. Welchem seiner Mädchen er den Blumenstrauß in die Hand gedrückt habe? "Oh, welchem Mädchen? Grace vielleicht?" Er weiß es einfach nicht mehr.

Lance Armstrong ist "zurückgetreten", das stellt er am Samstagabend auf seiner letzten Pressekonferenz als Radprofi fest, dabei steht noch die letzte Etappe aus.

Es gibt Menschen, die in solchen Momenten plötzlich Demut und Pathos entdecken, doch Armstrong spricht, als habe er gerade den Prolog gewonnen und noch 3500 Kilometer vor sich. Er inszeniert sich, wie in all den Jahren zuvor. Reserviert. Selbstbewusst. Kühl.

Selten kommt er ins Plaudern, wenn er etwa seine Kinder als "die drei wichtigsten Personen in meinem Leben" bezeichnet. Von Dankbarkeit und Freundschaft redet Armstrong, als er das Verdienst seines Teamchefs Johan Bruyneel beschreiben soll.

Er braucht den Wettbewerb

"Ohne ihn hätte es keinen einzigen Toursieg gegeben", sagt er. Und sieben Toursiege bei sieben Starts, das sei kein schlechter Rekord für seinen Freund, "aber ich verspreche euch: Das wird nicht sein letzter Toursieg sein". So tickt Armstrong. Er braucht den Wettbewerb. Immer.

Dass er nun trotzdem abtritt, unbesiegt und fraglos fähig, die Jungs an seinem Hinterrad noch bis zum zehnten Toursieg zu demütigen, dazu hat ihn sein Verstand überredet. "Es ist schön, auf dem Gipfel aufzuhören", sagt Armstrong, 33, es ist sein erster Satz überhaupt.

Das vor allem ist ihm wichtig gewesen: unbezwungen zu gehen. Selbst seinen 22. Etappensieg hätte er hergegeben für den Gesamterfolg; Armstrong hat seine letzte Tour mit der Routine des Rekordmannes absolviert.

"Kontrolliert fahren" sei wichtig, wichtiger als immerzu zu attackieren: "Du brauchst für einen Toursieg nur eine gute Attacke und zwei gute Zeitfahren, mehr nicht." Ein Ratschlag des Meisters an seinen Nachfolger, so hört sich das an, obwohl Armstrong darum bittet, ihn demnächst aus dem Spiel zu lassen. "Das wäre nicht fair - lasst den Champion Champion sein."

Welches Vermächtnis dieser Athlet seinem Sport hinterlässt, wird auch in seinen letzten aktiven Stunden deutlich. Es ist seine Professionalität. Dass er deshalb noch lange nicht beliebt ist, ist ihm ziemlich egal.

Er hat den Kampf um die Zuneigung der Welt aufgegeben, und das ist wohl die einzige Disziplin, in welcher ihm kein triumphaler Erfolg gelungen ist.

Am Samstag, während seiner Siegfahrt durch St. Etienne, hat er sich ein letztes Mal mit Bier übergießen lassen müssen. Auf der Rue des Acieries mischten sich unter den Beifall wieder viele Buhrufe. Jungs in Lukes Alter pfiffen ihn aus.

Charmeoffensive

Die Pfiffe gegen Armstrong sind leiser geworden, das schon, und vielleicht hat Armstrongs Charmeoffensive der vergangenen drei Wochen dazu beigetragen. Er grüßte Frankreich morgens auf den ersten Kilometern freundlich über das Fernsehen ("Bonjour la France, ca va?"), er wollte das von David Zabriskie übernommene Gelbe Trikot am nächsten Tag nicht anziehen wegen dessen Sturzpech.

Inszenierungen. Am Sonntagabend, nach der Siegerehrung (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht beendet), möchte er eine Ansprache halten. Auf französisch? Und würde er dabei sogar ein wenig weinen? Am Samstagabend sagt Armstrong: "Ich bin kein Dummkopf, ich weiß, dass die Leute ihre Sportler wieder vergessen. Nein, ich habe beide Beine auf dem Boden, meine Zeit ist abgelaufen."

Sein bisheriges Leben hat Lance Armstrong aus Austin, Texas, als einzigen Wettbewerb begriffen, er duellierte sich mit jähzornigen Erziehungsberechtigten, mit seinem gesellschaftlichen Status, dem Krebs, Dopingvorwürfen und mit den japsenden Kerlen an seinem Hinterrad.

Keiner hat ihn klein gekriegt, und so sitzt er nun auch dort oben: Ein wenig geschafft und angestrengt, aber im Einklang mit seinem Ego. Und ohne Verlustängste.

Er könne auf den Stress gut verzichten, betont er. Privatleben und Frieden, danach sehne er sich. Armstrong würde wohl gerne weitermachen, aber der mögliche Preis wäre ihm zu hoch: eine Niederlage.

Nächstes Jahr ist er 34, "das Alter holt dich zurück, und andere machen enorme Fortschritte, deshalb könnte nächstes Jahr die Zeit sein, dass ich fünf Minuten verliere".

Luke, Grace Elisabeth und Isabelle Rose möchte er das wohl nicht antun, auch nicht Mister Kerry, dem Wahlverlierer der Demokraten. Alle sollen einen Sieger in Erinnerung behalten. Wenngleich er ihnen wohl nur seine Professionalität hinterlassen hat.

"Eine Person, vielleicht ein Phänomen" habe er dargestellt, besonders für viele Krebspatienten in der Welt. "Ich habe nur versucht, das Beispiel eines Mannes zu geben, der Glück gehabt hat."

Lance Armstrong ist jetzt Rentner. Die nächste Woche will er mit Familie und Freunden in Südfrankreich "Wein trinken, viel essen, kein Rad anfassen, im Pool mit den Kindern plantschen".

Vielleicht geht er danach mit seiner Sheryl, einer Sängerin, auf eine Rock'n'Roll-Tour' "viel Bier trinken, Party machen". Er sagt, dieses Programm sei "eine Vorschau auf die nächsten 50 Jahre meines Lebens". No stress. Doch eigentlich glaubt ihm das niemand.

Er werde nicht zum "fetten Klops" mutieren, das räumt er ein, und er komme nächstes Jahr auch zur Tour, um seinem Freund Johan ein paar taktische Tipps zu geben. Marathon vielleicht, das könnte ihn fit halten, oder private Wettbewerbe. "Ich werde gegen mich selber fahren", sagt Lance Armstrong, der Pensionär. Vermutlich wird er gewinnen. Haushoch.

© SZ vom 25.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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