Lance Armstrong:Der Herrscher und sein Dreamteam

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Lance Armstrong und seine Mannschaft fahren auf höchstem Niveau und profitieren von den Schwächen der Konkurrenten.

Von Andreas Burkert

Den Reißverschluss noch rasch hochgezogen, so viel Zeit nahm sich Lance Armstrong, ehe er in der letzten Kurve beinahe spielerisch an Ivan Basso vorbei zog zum Etappensieg in Plateau de Beille vor dem Italiener. Eine Minute nach dem Duo folgte der vorzügliche Gerolsteiner-Pilot Georg Totschnig aus Österreich, ehe Andreas Klöden und der Spanier Francisco Mancebo eintrafen. Schöne Ergebnisse für sie, doch keine Gefahr für den Patron der Tour.

Es ist Armstrongs erster Erfolg gewesen bei dieser Tour, und er hätte sich keinen besseren Tag auswählen können für seine Premiere. Zwar hat sich der junge Franzose Thomas Voeckler zur Freude seiner Landsleute mit einem grandiosen Kraftakt auf Position 13 noch 22 Sekunden seiner ehedem neun Minuten Vorsprung erhalten und damit das Maillot Jaune. Doch auch Lance Armstrong beendete die Königsetappe der Tour de France mit dem Wissen, bereits in den Pyrenäen den Grundstein zu seinem sechsten Gesamtsieg gelegt zu haben.

Hinterher ist er jedenfalls so entspannt gewesen, dass er im ersten Interview die Fragen des französischen Staatsfernsehen in der Sprache seiner Gastgeber beantwortete. Im Grunde sei "das alles eine recht einfache Sache gewesen", sagte er, "und ich bin schon überrascht, dass so viele Rivalen zurückgeblieben oder ausgeschieden sind."

Nur Basso kann mithalten

Lance Armstrong, 32, wird wahrscheinlich als erster Radprofi zum sechsten Mal die Tour de France gewinnen, und vermutlich fällt ihm diese Großtat viel einfacher als erwartet. Denn einzig Basso ist ihm als ebenbürtiger Rivale verblieben - und ist nun doch schon mit 1:17 Minuten Rückstand notiert. Armstrong ist am Freitag in La Mongie sogar so galant gewesen, dem 26-jährigen CSC-Fahrer aus Varese den Tagessieg und damit die höchste Zeitgutschrift von 20 Sekunden zu überlassen.

Er fürchtet ihn eben nicht, denn im vergangenen Jahr hat Basso in den zwei Zeitfahren zusammen fast sieben Minuten verloren auf den Spezialisten aus Austin, Texas. Er habe sich zwar in dieser Disziplin verbessert, sagte Basso, "aber zwei Minuten werde ich in Basancon sicherlich verlieren".

Basso und Armstrong kennen sich zudem recht gut, die Mutter des Italieners ist wie ehedem der Titelverteidiger an Krebs erkrankt. Das verbindet die beiden. Armstrong sagte, es habe ihm "nicht so viel ausgemacht, dass er gewonnen hat". Basso ist allerdings mit seiner Beharrlichkeit der erste Fahrer gewesen, der die Attacken Armstrongs mit ruhigem Tritt kontern konnte. Einen eigenen Angriff indes setzte er nicht. So haben es all seine Kontrahenten in den vergangenen fünf Jahren gehalten.

Mit Basso ist ihm wenigstens einer der vielen Kandidaten geblieben, denen vor der Tour etwas zugetraut worden war. Jan Ullrich liegt aussichtslos zurück, ebenso der Spanier Roberto Heras, der am Samstag einen schrecklichen Einbruch erlebte und nun fast eine halbe Stunde hinten liegt. Noch mehr litt Landsmann Iban Mayo, der am Samstag bereits in der vorletzten Bergwertung entnervt vom Rad stieg. Doch Euskaltel-Teamchef Miguel Madariaga ließ ihn nicht den Besenwagen besteigen.

Seine Kollegen chauffierten ihn ins Ziel, mit halbstündiger Verspätung, und abends jammerte der Baske: "Meine Beine gehorchen mir nicht." Den hoffnungslos überfüllten Gipfel sah Tyler Hamilton nicht mehr, der Amerikaner vom Phonak-Rennstall, bereits in La Mongie geschlagen, gab nach 78 km auf. Rückenprobleme behinderten ihn in den Steigungen, "und ich bin nicht hierhin gekommen, um im Grupetto anzukommen". Er hatte die Tour gewinnen wollen.

Selbstzweifel des Meisters

"Alle sind untergegangen, das kann das Wetter der ersten Woche sein", sagt T-Mobile-Chef Walter Godefroot. Nur Armstrong haben die Bedingungen nichts anhaben können, auch nicht seiner Mannschaft. Sie ist mit Abstand die beste im Feld, Armstrong nennt sie "mein Dreamteam". Und so sichert er sich nun wohl seinen Ehrenplatz in der Geschichte des Sports, denn auch er selbst ist in Frankreich fraglos auf seinem höchstem Niveau erschienen.

"Er ist so stark wie in seinen besten Jahren", urteilt auch Ullrichs Betreuer Rudy Pevenage über Armstrong, der sich voriges Jahr einige Schwächen erlaubt hatte. "Ich war nicht sehr selbstsicher vor der Tour", sagte Armstrong mit einem Hinweis auf seine mäßige Form bei der Dauphiné-Rundfahrt im Juni. "Doch das macht eben große Champions aus, dass sie sich sorgen, ihren Platz zu verlieren." Bis der Meister abtritt, müssen sich die Thronfolger wohl gedulden. "Eine neue Generation ist das", sagte Armstrong, "Klöden, Mancebo und besonders Basso". Von Ullrich kein Wort.

© Süddeutsche Zeitung vom 19.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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