La Glosse:Noten von Brioche

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(Foto: N/A)

Fußball ist wie Wein. Die Deutschen? Ein feinfruchtiger Riesling. Die Italiener? Ein rustikaler Sangiovese. Hauptsache, der Abgang enttäuscht nicht.

Von Ulrich Hartmann

Fußball ist wie Wein. Es gibt Mannschaften, die sind ein Jahrhundert-Jahrgang, und es gibt solche, die besser weder geerntet noch vermaischt worden wären. Frankreich bietet eine vinologische Vielfalt - das EM-Turnier eine fußballerische. Da der schokoladige Merlot aus Pomerol, der erdbeerige Grenache von der Südrhone oder der Champagner mit Noten von Brioche und Honigmelone. Dort das herbe Spiel der Italiener, so gerbstoffreich wie ein rustikaler Sangiovese; der kunstvolle Kombinationsfußball der Spanier, so seidig wie ein hochwertiger Tempranillo; oder das zuletzt leichtfüßig-wirkungslose Spiel der Deutschen - wie ein feinfruchtig-verspielter Riesling, dem es aber an Länge mangelt. Wenn am Ende die Tore fehlen, ist das wie ein Wein, der kaum am Gaumen haftet. "Enttäuschend im Abgang", würde der Sommelier urteilen und den Daumen senken.

Es gibt Trauben und Jahrgänge, da kann der Winzer nicht viel falsch machen. Da muss er die Stilistik und den Extrakt der Früchte bloß in die Flasche bringen. In Belgien wurde bereits gezweifelt an den Fähigkeiten des Trainers Marc Wilmots und ob er die Qualität seines großen Jahrgangs wirklich herausarbeiten kann. Belgiens erste Flasche hatte schließlich Kork: Niederlage gegen Italien. Die zweite Flasche (3:0 gegen Irland) hingegen entfaltete prächtige Aromen mit Rasse und Länge. Belgien macht sich gerade einen Namen als große Fußballnation. Wein kommt aus dem kleinen Land jedoch keiner von internationalem Belang. Die kulinarisch anspruchsvolle Nation importiert vor allem aus Bordeaux und Burgund.

Ein Land mit großer vinologischer Tradition ist Ungarn, auch wenn der süße Tokajer nicht jedermanns Sache ist. Seit den Neunzigern erlebt der Weinbau eine Renaissance. Und auch Ungarns Fußball lässt sich wieder sehen. 44 Jahre hat die Mannschaft nicht mehr mitgespielt bei einer EM. Jetzt steht sie vor dem Einzug ins Achtelfinale.

Beim Siegerteam wird am Ende die Frage stehen, wie der Triumph gebührend begossen wird: mit Champagner, Bordeaux oder doch vielleicht lieber mit heimischen Kreszenzen? Die Antwort könnte schlimm ausfallen. Viele der jungen Fußballer verschmähen einen guten Tropfen. Sie mögen stattdessen lieber profanes Bier.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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