Krise der Volleyball-Liga:Das Netz wird eingerollt

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Ein grenzüberschreitendes Sportprojekt ist beendet: Die Alpenvolleys gehen auseinander. Der TSV Unterhaching verzichtet auf die Bundesliga-Lizenz - Partner Innsbruck macht in Österreich als Zweitliga-Team weiter.

Von Sebastian Winter, München

Das Ende der Alpenvolleys Haching wirkte fast so gruselig wie ein Katastrophenfilm. Menschen in weißen Schutzanzügen gingen am Dienstag durch Innsbrucks Olympiahalle, ihr Auftrag war es, abzubauen. Das Netz hing ja noch, wenn auch schlaff, die Pfosten waren im Boden verankert. Spielerbänke, Sponsorenbanden, Werbebanner: Alles war unberührt geblieben seit dem Sieg der Alpenvolleys Haching im Geisterspiel gegen die Grizzlys aus Giesen am 12. März - der letzten Partie, bevor die Volleyball-Bundesliga (VBL) ihre Saison abgebrochen hat. Rein durfte seither wegen der Corona-Auflagen in Tirol niemand in die Halle, fünf Wochen lang. Bis Dienstag, als Österreichs Kanzler Sebastian Kurz die Regeln lockerte. Das gespenstische Bild bleibt haften, jetzt, da es die Alpenvolleys nicht mehr gibt.

Am Mittwoch haben sie ihren Rückzug bekanntgegeben, nach drei sportlich erfolgreichen Jahren. Es sei nicht gelungen, "das Budget um 30 Prozent auf zwei Millionen Euro zu steigern", sagte ihr Manager Hannes Kronthaler, der als Bauunternehmer zugleich ihr zweitgrößter Sponsor ist. Kronthaler hielt es vielmehr für "unwahrscheinlich, dass wir unser bisheriges Budget halten können", das Risiko sei ihm als Unternehmer zu groß. Der SZ sagte er, die Corona-Krise sei "der Todesstoß" gewesen. Dabei waren die Alpenvolleys im Sommer 2017 per 50 000 Euro teurer Wildcard und mit hoch fliegenden Träumen in die Liga eingezogen. Als zunächst auf drei Jahre angelegtes Projekt zwischen Lizenznehmer Unterhaching und dem österreichischen Rekordmeister Innsbruck, dem die eigene Liga zu langweilig geworden war. Und als erstes transnationales Bündnis in der VBL-Geschichte. Auch in anderen großen, hiesigen Sportligen hat es eine solche Zweckehe noch nie gegeben. Mehrere Bundesligisten wehrten sich zunächst, doch die Kritik verstummte bald. Denn die Alpenvolleys erwuchsen schnell zum Rivalen von Berlin und Friedrichshafen - in einer Liga, die zuvor unter dem ewigen Duell zwischen Hauptstadt und Bodensee gelitten hatte, das noch dazu längst zur One-Club-Show Berlins verkümmert ist; weil Friedrichshafen nicht mehr Schritt halten kann mit der Lokomotive der Liga, wie Berlin gerne von Volleys-Manager Kaweh Niroomand bezeichnet wird.

Abschied nehmen: Die Alpenvolleys applaudieren den Fans nach ihrer Partie gegen Zenit St. Petersburg. (Foto: Markus Fischer/imago)

Der Neuling sollte die Langeweile sprengen, und er tat es sofort. Die Alpenvolleys bereicherten die Liga mit ihrer Profitruppe aus vielen Nationen, unter ihnen Brasilianer, die in Innsbruck längst beheimatet sind. Sie haben die Konkurrenz befördert, das spielerische Niveau gehoben - und für manches Spektakel gesorgt. Man erinnere sich nur an das hochklassige Playoff-Halbfinale gegen Berlin aus dem vergangenen Jahr, an den deutschen Rekordsatz (50:48) vor fünf Monaten - oder die spektakuläre 2:3-Niederlage im europäischen CEV-Pokal gegen den großen Favoriten St. Petersburg mit seinem deutschen Angriffskoloss Georg Grozer. Zweimal erreichten die Deutsch-Österreicher das Playoff-Halbfinale, jetzt sollte der Finaleinzug gelingen - und wenn möglich der Gewinn der Meisterschaft. Dann kam das Virus, das Geisterspiel gegen Giesen, die Leere. Sie verschluckt nun nicht nur alle Ziele und Ambitionen, sondern auch einen der Top-drei-Klubs der Liga. "Das ist keine gute Nachricht für den deutschen Volleyball und trägt weiß Gott nicht dazu bei, dass die Liga attraktiver wird", sagte Niroomand.

Kronthaler hatte das Ziel, zum Berlin des Südens zu werden, den Standort Unterhaching zu beleben, die bayerische Wirtschaft auf das Bündnis mit seinem Hauptsitz in Tirol und der Zweigstelle im Münchner Speckgürtel aufmerksam zu machen. Er wollte nicht mehr alleiniger Geldgeber und Sponsorenbeschaffer sein. Doch das gelang nicht. "Wenn man nicht mal 50 000 Euro Sponsorengelder aufreißt in Bayern, was hat das für einen Sinn?", fragt er sich - eine unverblümte Spitze an die Verantwortlichen in Unterhaching, die, so sein Plan, eigentlich 200 000 Euro an Sponsorengeldern pro Saison hätten auftreiben sollen.

Trainer Stefan Chrtiansky macht in der 2. Liga weiter. (Foto: Bernd König/imago)

Eine Liebesbeziehung wurde der transalpine Zusammenschluss nie. Auch das Zuschauerinteresse blieb hinter den Erwartungen zurück, trotz sportlicher Höhenflüge. Manchmal verloren sich nur 500 Fans in den Hallen in Unterhaching und Innsbruck. Der Rekord waren 2700 im Playoff-Halbfinale gegen Berlin - 3000 bis 4000 hatte sich Kronthaler dauerhaft bei Spitzenspielen gewünscht. "Wenn wir ganz Deutschland aus der Halle schießen, müssen die Fans einem doch die Tür einrennen, auch in Tirol", sagt Kronthaler enttäuscht. In jüngster Zeit wurde das Projekt besser angenommen, die Identifikation mit den Fans wuchs. Zu spät.

Die VBL hat nun einen schwarzen Mittwoch hinter sich, denn parallel zum Ausstieg der Alpenvolleys verkündete sie den Lizenzentzug für den insolventen Klub aus Eltmann. Zuvor hatte sich der langjährige Erstligist Rottenburg aus wirtschaftlichen Gründen zurückgezogen. Die Männer-Liga verliert damit binnen Wochen ein Viertel ihrer Klubs. Eltmanns Stammverein muss nun eine existenzgefährdende Strafe von 32 000 Euro zahlen, immerhin in Raten. Und die zerbröselnde Liga fragt sich: Wer folgt als Nächster?

Die Alpenvolleys haben den selbstbestimmten Weg gewählt. Der TSV Unterhaching verzichtet als Lizenznehmer auf die Möglichkeit, für die erste Liga zu melden, der Klub hat schlicht kein Geld. Und Kronthaler zieht sich zurück aus dem Spitzensport, er kümmert sich fortan um Innsbrucks Zweitliga-Team in Österreich - und um seine Baufirma. "Sechzig Prozent sind Wehmut, 40 Prozent Erleichterung", sagte er noch am Telefon.

In die Innsbrucker Olympiahalle wurde am Mittwoch übrigens eine Drive-in-Testanlage für Corona-Patienten hineingebaut, die Autos parken quasi an der Aufschlaglinie. Immerhin ein kleiner Trost, nun auf diese Weise helfen zu können.

© SZ vom 16.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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