Kommentar zum Dopingskandal:Al Capones Erbengemeinschaft

Lesezeit: 1 min

Von Thomas Kistner

(SZ vom 23.10.2003) - Der Vergleich mit Al Capone drängt sich nun auf im US-Massendoping-Skandal, der nach Europa schwappt und womöglich Deutschland erreichen wird. Capones Mafia-Struktur war ja nur über einen simplen Steuerhinterziehungsprozess zerschlagen worden, und so einer läuft auch gegen Victor Conte, Boss der mutmaßlichen Drogenverteilerfirma Balco.

Contes Geschäftsgeflecht hat Millionen verdient an besonders leistungsbesessenen Spitzensportlern, es hat sogar private Dopingtests vorgenommen - und bei einer Großrazzia wurden neben Steroiden auch Wachstumshormone gefunden. Die zählen längst zu den Rennern der Zukunft, weil sie in den gängigen Testverfahren des Sports nicht entdeckt werden können. Ein Saustall tut sich auf von jener wahrhaft kalifornischen Größenordnung, die man gern mit filmreif umschreibt.

Den US-Behörden geht es im Fall Balco um Geldwäsche und Steuerhinterziehung, dem Sport bleibt das Abfallprodukt, das allein groß genug ist, um ihn in den Grundfesten zu erschüttern: Der Wille moderner Athleten zur Muskelmast, das verschworene Treiben in namhaften Trainingsgruppen, die Absicht zum Betrug.

Der US-Skandal erhellt zweierlei. Der Spitzensport, der weltweit Dollarmilliarden und ganze TV-Senderketten bewegt, ist über Begriffe wie Fairness und Erziehung längst nicht mehr zu erreichen - da freuen sich nur die Werbeprofis, wenn nach dem Rennen in sentimentalen Bildern ein Betrüger dem anderen gratuliert. Und: Der Spitzensport hat Führungskräfte, die mit dieser Krise nicht fertig werden. Solange gerissene Manager und Juristen seine Geschicke lenken, ist an Umkehr nicht zu denken.

Vielleicht muss ja dort etwas in Bewegung geraten, wo es diesen Sport ins Mark trifft: bei Fans und Konsumenten. Wenn sich die generelle Unschuldsvermutung als vorsätzliche Naivität entpuppt, darf darüber nachgedacht werden, ob man sie nicht besser durch einen Generalverdacht ersetzt. Jedenfalls in Sparten wie der diskret vernetzten Leichtathletik - aber auch im Langlauf oder dem Radsport, wo die Resultate der Dopingtests immer wieder in einem entlarvenden Widerspruch zu den Erträgen staatlicher Razzien stehen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: