Kommentar:Zu früh und fast zu spät

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In keinem anderen Sport ist die innere Zerrissenheit angesichts der Corona-Krise so deutlich wie bei den Handballern. Dabei haben die eine große Chance.

Joachim Mölter

Es gehört zu den Kuriositäten dieser Zeit, dass die Handballer am Mittwoch mit ihrer Champions-League-Saison 2020/21 angefangen haben, obwohl die Spielzeit 2019/20 noch gar nicht vorbei ist. Ende Dezember, rechtzeitig vor Ablauf des Jahres 2020, werden in Köln Halbfinale und Finale des höchsten europäischen Wettbewerbs ausgetragen.

Nicht nur bei den Handballern hat die Corona-Pandemie zu Absagen und Änderungen, zu Verschiebungen und Überschneidungen geführt; nicht nur bei ihnen versuchen nationale und internationale Ligen und Verbände zu retten, was von ihren Wettbewerben zu retten ist. Aber in kaum einem anderen Sport ist die innere Zerrissenheit so deutlich sichtbar.

In einem aufsehenerregenden Sport-Bild-Interview haben sich Spitzenfunktionäre der hiesigen Topklubs THW Kiel und SG Flensburg noch am 19. August nicht vorstellen können, dass der europäische Spielbetrieb am 15. September und der deutsche am 1. Oktober beginnt; sie plädierten für einen Bundesligastart im Januar sowie eine Absage der vom 13. bis 31. Januar in Ägypten geplanten WM.

"Ich bin der Meinung, dass es unserer Sportart nicht gut tut, wenn wir noch länger Pause machen", sagte hingegen Nationaltorwart Andreas Wolff der dänisch-deutschen Zeitung Flensborg-Avis vor dem Gastspiel seines Klubs KS Kielce am Mittwoch in Flensburg. Wolffs Begründung: "Wir Spieler verlieren die Praxis, und die Zuschauer verlieren den Sport aus den Augen." Und aus den Augen bedeutet bekanntlich: aus dem Sinn. Im Mannheimer Morgen erinnerte der deutsche Kapitän Uwe Gensheimer daher: "Wir alle wissen, wie viele Zuschauer wir mit der Nationalmannschaft vor die Fernseher holen (...), deswegen ist es nicht erstrebenswert, auf die WM zu verzichten."

Die Handballer waren ein halbes Jahr unsichtbar, seit sie im März alles abgebrochen und abgesagt haben wegen Corona. Nun sind sie die ersten Hallensportler, die den Punktspielbetrieb wieder aufnehmen. Viel zu früh, mögen die einen finden; fast schon zu spät, mögen die anderen denken. In jedem Fall ist das ihre Chance: Sie können eine Weile exklusiv die kleine Bühne bespielen, die der Fußball übrig lässt. Und auch wenn die Zuschauerzahlen vorerst begrenzt sind: Sie können sich immerhin wieder zeigen.

© SZ vom 18.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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