Kommentar:Zirkus in der Stadt

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Vom Spitzenspiel waren Signale für den Saisonverlauf erwartet worden. Sie sind alarmierend: Leverkusen steht staunend Spalier, denn die Münchner brauchen nicht einmal Verteidiger.

Von Ulrich Hartmann

Ein TSV Bayer 04 Leverkusen "nahe der Perfektion". Und ein FC Bayern München mit einem "großen Problem". Diese Botschaften hatten vor dem ersten echten Spitzenspiel der jungen Bundesligasaison in neutralen Lagern die Hoffnung genährt, vom Duell der Bayern contra Bayer könnten erste Signale einer bröckelnden Münchner Dominanz ausgehen. Immerhin hatten die Leverkusener unter der Woche in der Champions-League-Qualifikation Lazio Rom demontiert, wofür sie von ihrem Trainer Roger Schmidt das höchste Qualitätssiegel (Perfektion!) bekamen. Zudem wurden sie von FC-Bayern-Coach Pep Guardiola zu einem seriösen Mitbewerber im Kampf um die tabellarische Marktführerschaft ernannt. Nebenbei klagte Guardiola (Problem!) sogar über das Fehlen seiner kompletten Innenverteidigung.

Das Topspiel war demnach ein Hochrisikospiel, es hätte spannend werden können. Wurde es aber nicht. Am Ende war es eine Kür. Der FC Bayern tobte sich aus. Leverkusen stand Spalier. Müde vom Duell mit den Römern. Bisweilen gastierte gar der Zirkus in der Münchner Arena.

Zumal Guardiola sein "Problem" mit einem Kniff in den Griff bekam: Mangels gelernter Innenverteidiger stellte er einfach eine Abwehr aus lauter Mittelfeldspielern zusammen. Der Spanier Xabi Alonso zelebrierte aus der Verteidigung heraus die hohe Kunst der Spieleröffnung - und zündete mit langen Flankenbällen ein ums andere Mal die Flügelraketen namens Douglas Costa und Arjen Robben. Zirkus! 3:0! Wer kann den Bayern folgen?

Wer nach dem Fortgang des Wolfsburgers Kevin De Bruyne fürchtet, die Münchner könnten vielleicht schon vor Weihnachten ihre 26. Meisterschaft feiern, findet im jüngsten Wolfsburger Kantersieg gegen Schalke (3:0) sowie in der aktuellen Dortmunder Verfassung etwas Trost. Ob auch die Borussia weiter Turbofußball spielt wie zuletzt, wird sich im Sonntagsspiel gegen Hertha BSC zeigen. Die nächsten Topspiele sind dann bereits terminiert: Wolfsburg gastiert im September beim FC Bayern, Dortmund im Oktober.

Zuerst müssen also alle in der Hinrunde nach München. Es besteht also weiter die Gefahr, dass die Bayern mit einem Punktepolster in die Winterpause ziehen. Zumal sie auch in der Champions League nicht übermäßig gefordert werden, wie die Auslosung am Donnerstag ergab: Es gibt einen Klassiker, das Duell mit dem FC Arsenal, aber auch zwei eher als einfach eingestufte Betriebsausflüge nach Piräus und Zagreb. Beste Gelegenheit also, Kräfte durch die Rotation zu schonen.

Die Münchner haben sich den vierten Titelgewinn in Serie vorgenommen. Das wäre ein weiterer Rekord für den Rekordmeister. Noch bleibt die Hoffnung, dass sich wenigstens ein Klub zum Rivalen aufschwingt, vielleicht die nur in der Europa League beschäftigten Dortmunder, die unter dem neuen Trainer Thomas Tuchel zuletzt wirkten, als seien sie in einen Jungbrunnen gefallen. Bundesliga sollte ja eigentlich eher Wettbewerb als Zirkus sein. Auch wenn die Münchner schon heute ein paar tolle Nummern im Programm hatten: Zum Beispiel die Tricks des Brasilianers Douglas Costa. Oder jene Slapstick-Nummer am Elfmeterpunkt, in der sich Thomas Müller, Arjen Robben und der freche Chilene Arturo Vidal darüber streiten, wer denn nun schießen darf.

Was aber am Samstagabend die eigentliche Königsnummer war: Die Münchner haben gewonnen! Sogar zu Null! Und dabei hatten sie die meiste Zeit nicht einen einzigen echten Verteidiger auf der Bühne. Da überkommt den neutralen Fan ein Gruseln.

© SZ vom 30.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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