Kommentar:Zeit zum Nachdenken

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Sozialstunden als Strafe für Rüpel Max Verstappen? So lächerlich, wie es klingt, ist das Urteil des Weltverbandes beim Großen Preis von Brasilien aber nicht. Denn kaum etwas trifft Formel-1-Piloten mehr, als Zeitverlust.

Von René Hofmann

Es klingt absurd: Sozialstunden als Strafe für einen Rennfahrer, der aus der Rolle fiel. Ist die Formel 1 nicht die Königsklasse des Motorsports? Und sollen ihre Protagonisten nicht unerschrockene Gladiatoren sein, die furchtlos um jeden Zentimeter rangeln? Klischee und Wirklichkeit passen auf den ersten Blick nicht wirklich zusammen nach diesem Großen Preis von Brasilien, bei dem der Niederländer Max Verstappen um den Sieg gebracht wurde, weil dem Franzosen Esteban Ocon bei dem Versuch, sich zurück zu runden, eine Trottelei unterlaufen war und die beiden kollidierten.

Verstappen, 21, schäumte nach dem Crash nicht bloß. Im Ziel stürmte er auf den artig in der Schlange vor der Waage wartenden Ocon zu und schubste diesen - so heftig, dass der 22-Jährige wie betrunken durch den hell erleuchteten Raum torkelte. Die Regelhüter des Automobilweltverbandes FIA erkannten darin einen "absichtlichen physischen Kontakt" und verurteilten Verstappen nach Artikel 12.1.1 c des Sportgesetzbuchs, der jedes Verhalten unter Strafe stellt, das dem Ansehen des Motorsports schadet. In den nächsten sechs Monaten muss Verstappen zwei Tage damit verbringen, Gutes zu tun. Das Urteil lädt zu Gedankenspielen ein. Wofür wird der Rüpel sich wohl entscheiden: Wird er in Monaco, wo er wohnt, in aller früh im Teamoverall Gehwege fegen? Oder wird er im Streckenposten-Ornat Rentnern über Zebrastreifen helfen? Möglichkeiten, sich für die Verkehrssicherheit verdient zu machen, gibt es viele.

So lächerlich wie das Verdikt wirkt, ist es in Wahrheit aber gar nicht. Verstappens Verhalten war falsch, ein wirklich schlimmes Vergehen aber war es nicht. Die Schubserei zu sanktionieren, war richtig. Und es gibt nur zwei Strafen, die Formel-1-Fahrer in Verstappens Gehaltsklasse treffen: Wenn sie Punkte verlieren. Oder Zeit. Ein Punktabzug wäre eine zu harte Sanktion gewesen, Verstappen Zeit zu verordnen, in der er einmal nicht nur an Rundenzeiten denkt, ist dagegen genau das Richtige. Sein Geschubse war eine Eselei. Wenn es gut läuft, dämmert dem Shootingstar in der verordneten Rauszeit, dass sich wahre Größe gerade in Momenten der Enttäuschung zeigt, und er hält es künftig wie Graham Hill. Der Brite ließ einem Gegner, der ihn gerammt und so um einen Sieg gebracht hatte, einst zu Weihnachten ein Buch zukommen: "Wie lerne ich Auto fahren?"

© SZ vom 13.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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