Kommentar:Zeit der Populisten

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Von Ludger Schulze

Es gibt sie also doch noch im deutschen Fußball, die Stimme der Vernunft. Sie gehört Dieter Hoeneß, dem Manager von Hertha BSC Berlin, der im vielstimmigen Geschrei der Diskutanten die Ruhe bewahrt. Für seine Person, sagte Hoeneß, werde er sich aus der Debatte um den Bundestrainer heraushalten und keine weiteren Namen nennen. Wenn man die Fahndung nach einem neuen Vormann für die Nationalelf betrachtet, fühlt man sich an zweifelhafte Fernsehshows erinnert: Deutschland sucht den Supertrainer. Tatsächlich wäre es ehrlicher, den künftigen Teamchef per TED-Umfrage ermitteln zu lassen, weil die Angelegenheit an Populismus ohnehin nicht zu überbieten ist.

Nachdem der griechische Nationaltrainer Otto Rehhagel von Bild auf den Favoritenschild gehoben wurde, kann an seiner baldigen Ernennung kaum mehr ein Zweifel sein. Kolumnist der Nackedei-Gazette ist Franz Beckenbauer, der einflussreichste Mann im deutschen Fußball. Und damit ist die Personalie quasi amtlich. Nun sei in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, dass es Beckenbauer war, der im Jahre 1996 als Präsident des FC Bayern jenen Rehhagel wegen Unfähigkeit fristlos entließ. Rehhagel, argumentierten die Münchner seinerzeit, habe es an Inkompetenz nahezu mit seinem Vorvorgänger Erich Ribbeck aufgenommen, er sei unbelehrbar, selbstgerecht, jeder Kritik gegenüber unempfänglich und taktisch hinter dem Mond. Was nun - ist Rehhagel in Griechenland als Ander-Otto wiedergeboren worden, oder haben die Bayern einen furchtbaren Irrtum eingesehen?

Rehhagel hat auf dem Peloponnes glanzvolle Arbeit geleistet, was niemand bezweifeln kann. Vielleicht auch deshalb, weil er einen geschickten Übersetzer hat, der die selbstverliebten Tiraden des Meisters besser verschweigt und somit möglichen Unmut von vornherein erstickt. Hierzulande sind die aus der Vergangenheit rührenden Vorbehalte gegen Rehhagel durch seinen Erfolg hinweg geschwemmt worden. Und dabei spielen die Bayern erneut eine ähnliche Rolle wie im Jahr 1998. Damals wurde Erich Ribbeck als Nachfolger von Berti Vogts installiert, obwohl sich die gesamte Branche hinter vorgehaltener Hand über den Rentner aus Teneriffa lustig machte. Die Großhirne des FC Bayern, Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge, aber verschwiegen ihre Kenntnisse und ließen das Nationalteam ins Verderben der EM 2000 (ein Tor, ein Punkt) laufen. Es musste erst ein kleiner, aufrichtiger Mann wie Jens Jeremies kommen, um den Zustand dieser Mannschaft als das zu bezeichnen, was er war: jämmerlich.

Die Entscheidung, wer nun Bundestrainer wird, ist die schwerwiegendste im Hinblick auf die WM im eigenen Land. Wer jetzt einfällt ins Geschrei der Populisten und eine unbedachte, aktualitätsbesoffene Entscheidung trifft, sollte wissen, dass er spätestens in zwei Jahren Rechenschaft ablegen muss.

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