Kommentar:Wiener Blut

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(Foto: sz)

Vor dem fünften Bundesliga-Spieltag stehen vielerorts die Trainer unter Druck - andere raten zur Gelassenheit. Doch so einfach ist das nicht.

Von Christof Kneer

Auf seiner vorletzten Trainerstation ist der auf seine Art schon auch irgendwie große Trainer Max Merkel einmal gefragt worden, ob er angesichts der jüngsten Niederlagenserie nicht einen gewissen Druck verspüre. Max Merkel hat den Mann mit dem Mikrofon mitleidig angeschaut, und dann hat er geantwortet: "Wann i Obst ess', spür' i manchmal aan Druuuck."

Max Merkel hat der Bundesliga einen Satz hinterlassen, der sehr zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Der Satz ist nicht geschützt, er kann heute noch kostenfrei verwendet werden, und es spricht gar nichts dagegen, ihn sogar am Originalschauplatz noch mal einzusetzen. Merkel war damals Trainer in Karlsruhe, und einer seiner Nachfolger beim KSC, ein Mensch namens Thomas Oral, wird von den örtlichen Mikrofonen gerade auch häufiger nach dem Druck gefragt. Oral muss aber schnell sein, wenn er Merkels Satz haben will; ansonsten schnappt ihm Bruno Labbadia den Satz weg oder Markus Weinzierl oder Roger Schmidt. Oder irgendein anderer Trainer, weil Trainer "heute immer unter Druck stehen", wie am Freitag Carlo Ancelotti anmerkte, der aber nach allem, was man weiß, weniger Obst isst als zum Beispiel Tortellini.

Überhaupt haben an diesem Freitag erstaunlich viele Trainer über Trainer gesprochen, es waren moderne, mit weniger Schmäh vorgetragene Varianten des Max-Merkel-Themas. Man könne "doch nicht nach dem dritten Spieltag schon alles infrage stellen, das macht man nicht", sagte etwa Frankfurts Niko Kovac und bezog sich auf die Entlassung des Bremer Kollegen Viktor Skripnik und die Schlagzeilen über den Hamburger Bruno Labbadia. Fast zeitgleich hat Leverkusens Roger Schmidt alle Klubmanager aufgefordert, der "Medienhektik" zu trotzen; wenn ein Trainerteam gute Arbeit leiste, solle man "cool und gelassen bleiben".

Dazu sind zwei Dinge anzumerken. Erstens: Der Mann hat Recht. Zweitens: So einfach ist es nun auch wieder nicht.

Trainer und Medien: Das ist ein beliebtes Thema, seit es Trainer und Medien gibt, und es wird im Grunde seit Max Merkels Zeiten immer gleich intoniert. Die Trainer sagen, dass die Medien gemein und hinterhältig sind, und dass sie Spaß daran haben, die Trainer aus dem Amt zu schreiben; die Medien sagen, dass die Trainer unter Verfolgungswahn leiden.

Mit seinem Tempo und seiner Neigung zur Hysterie hat der Fußball alle angesteckt

Beim Blick auf die aktuellen Debatten kann man trotzdem zu dem Schluss kommen, dass Max Merkel in paradiesischen Zeiten lebte (vgl. auch: Obst/Apfel). Am Muster der Auseinandersetzung hat sich zwar nichts geändert, aber die digitale Revolution hat den Prozess dramatisch dynamisiert. Ja, Schmidt hat Recht: Es gibt heute deutlich mehr Medien als Themen, und so wird alles, was sich finden lässt, in einer eigens dafür angefertigten Erregungsmaschine zum Erhitzen gebracht: Herr XY, glauben Sie, dass es im Verein jetzt unruhig wird? Solche Fragen hören Trainer heute schon nach dem ersten Spieltag. Aber Schmidt hat auch Unrecht: So manche Medienschelte taugt weiterhin vor allem als hübsches Ablenkungsmanöver, viele Trainerdebatten sind weiterhin hausgemacht - wie traditionell in Hamburg oder zuletzt vor allem in Bremen, wo sie monatelang eher trotzig als überzeugt an Skripnik festhielten.

Festzuhalten bleibt, dass der Fußball im vorigen Jahrzehnt abseits des Rasens noch schneller geworden ist als auf dem Feld, er hat alle Akteure mit seinem Tempo, seiner Hektik und seiner Neigung zur Hysterie angesteckt. Dagegen hilft wahrscheinlich nur Wiener Blut: Aus Max Merkels Stadt kommt auch der coole Trainer Peter Stöger, dessen Entlassung in drei Jahren Köln noch niemand gefordert hat.

© SZ vom 24.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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