Kommentar:Vorbild Freiburg

Lesezeit: 2 min

Wer war die wahre Mannschaft des Saisonauftakts? München ist längst nicht so bemerkenswert wie der SC Freiburg, der schon wieder fleißig Punkte sammelt.

Von Klaus Hoeltzenbein

Warum landet man, wenn es darum geht, die Mannschaft des ersten Spieltags der Saison zu küren, mal wieder beim SC Freiburg? Und nicht etwa beim FC Bayern, der bewies, dass er nicht nur gegen Barcelona, sondern sogar gegen Schalke 04 acht Tore in einem Spiel erzielen kann. Zum einen fliegen dem Sportclub erneut die Sympathien zu, weil Positives aus der Nische jetzt Vorrang haben sollte im letzten Sonnenlicht, so kurz vor dem Einstieg in den Herbst und Winter. Sonst hätte man auch gleich alles aus dem Keller, vom Tabellenende her aufrollen können. Wer sagt denn, dass die Mannschaft des ersten Spieltags ein Gewinner sein muss?

Aber es wäre viel zu viel Mitleid im Spiel, würde man demonstrativ auf Bremen und/oder Schalke zeigen. Nur weil sich dort nichts geändert hat. Die unter Verweis auf knappe Kassen angeblich kaum zu renovierenden Teams sind noch da, die Trainer, der wortmächtige Florian Kohfeldt und der wortkarge David Wagner, ebenso - doch die Resultate wirken trotz kurzer Denk- und Sommerpause noch ernüchternder: 1:4 gegen Hertha, 0:8 in München. Und jetzt, Trommelwirbel, Vorhang auf, kommt es sogleich am zweiten Spieltag zum Gruselduell der Traditionsklubs: Bremen auf Schalke. Dort passt, da die Kulisse coronabedingt karg sein wird, der triste Rahmen.

Nein, die Freiburger sind schon deshalb mal wieder herauszuheben, weil sie sich nahezu nie irritieren lassen. Egal, in welchen Stürmen sie stehen, welches Virus sie belästigt, sie bleiben offenbar auch im neunten Jahr mit Christian Streich, 55, treu auf ihren Schienen. Toben tut gerade dieser Trainer gerne, wenn ein Pfiff seinem Rechtsgefühl nicht folgt. Aber in den großen Themen? Von allen Klubs, an denen die Kräfte des Marktes zerren, hätte Freiburg am lautesten klagen können: Der Torwart und beide Nationalspieler sind weg. Alle haben am Wochenende andernorts gewonnen: Alexander Schwolow hält jetzt für Hertha BSC in Berlin, Luca Waldschmidt traf zu Portugals Saisonauftakt zwei Mal beim 5:1 von Benfica Lissabon, und Robin Koch feierte mit Premier-League-Aufsteiger Leeds United am Samstag seinen ersten Sieg. Vergleichsweise wäre dies so, als hätten sie beim FC Bayern nicht nur Thiago zum FC Liverpool verabschiedet, sondern Manuel Neuer und David Alaba gleich dazu.

Die Freiburger sind nun vermögend, sagen aber, nach ihrem routiniert erstrittenen 3:2 bei Aufsteiger Stuttgart, sie sammelten erst einmal die Punkte gegen den Abstieg. Das gehört dort zum guten Ton. Ebenso, dass man sich raushält aus überflüssigen Debatten, zum Beispiel jener zum Stichwort "Wettbewerbsverzerrung" - nur weil der eine Klub jetzt ein paar Tausend Zuschauer mehr als der andere ins Stadion lassen darf. Im Reizklima des Neustarts präsentierte die Streich-Elf einfach ihren alten Streifen mit einem weltweit bekannten Highlight: Flanke aus dem Nirgendwo, Kopfball Petersen, 1:0! Eines wissen sie im Breisgau halt besser als anderswo: Nur wer sich treu bleibt, landet selten mal im falschen Film.

© SZ vom 22.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: