Kommentar:Vergeudetes Talent

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Die Franzosen verzweifeln auch in diesem Jahr an Lance Armstrong, der ihr Heiligtum wohl zum siebten Mal nacheinander gewinnen wird und danach unbehelligt abtritt. Dass jemand die Tour de France derart dominiert, noch dazu ein Amerikaner, gefällt ihnen ganz und gar nicht, doch in ihrer Verzweiflung müssen sie feststellen: Es lässt sich einfach kein Gegner finden für den besessenen Erfolgsathleten aus Texas.

Von Andreas Burkert

Lange haben die Franzosen geglaubt, Jan Ullrich könne den Champion irgendwann doch einmal bezwingen. Inzwischen haben sie allerdings ihre Hoffnungen aufgegeben, und wenn sie in diesen Tagen über den ewigen Herausforderer aus l'Allemagne reden, wedeln sie mit einer Hand waagerecht vor ihrem Hals: "Ullrickhe", rufen sie wütend, "c'est fini!"

Auch die Deutschen leiden mal wieder mit dem tragischen Helden, der sich auch bei dieser Tour-Ausgabe irgendwie selbst im Wege steht. Zweimal hat er sich mit spektakulären Unfällen beworben für einen Beitrag bei "Pleiten, Pech & Pannen", doch leider haben die Kameraleute Ullrichs furiose Salti verpasst. Wieso ausgerechnet ihm, dem Armstrong immerzu das größere Talent bescheinigt, derlei Malheure wiederfahren, das ist eine schöne Aufgabe für ein Proseminar der psychologischen Fakultät.

Mit solchen Rätseln indes hat Ullrich möglicherweise die wertvollsten Jahre seiner Karriere vergeudet. Wieso vermag er nur als Außenseiter (1997, 2003) sein Repertoire abzurufen? Und weshalb ließ er allzu oft seinen Versprechungen einer seriösen Saisonplanung die nächste Enttäuschung folgen?

Karriere-Ende naht

Jan Ullrich nähert sich dem Ende seiner Karriere, zumindest das ist sicher, denn im nächsten Jahr endet der Vertrag mit seinem Rennstall. Und an eine Verlängerung des Kontraktes verschwenden beide Seiten wohl keine Gedanken. Glücklich hat beide Parteien die 2004 wiederbelebte Partnerschaft bislang nicht gemacht. Was wohl in erster Linie an Jan Ullrich liegt, der Magenta ehedem den Rücken kehrte, weil er aus einem "goldenen Käfig" floh - und diesem Gebäude mit seiner Rückkehr ein silbernes Obergeschoss aufsetzte.

Darin hat er es sich gemütlich gemacht mit Freunden und alten Weggefährten, aber in diesem Klima hat sich der in seinen Gewohnheiten festgefahrene Stoiker ebenso wenig weiter entwickeln können wie zuvor unter der angeblich erdrückenden Aufsicht einer Werksportgruppe. Unter dem Strich bleibt dieser Eindruck: Jan Ullrich hat wegen seiner Blessuren bei dieser Tour sein wahres Leistungsvermögen noch.

(SZ vom 15.7.2005)

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