Kommentar:Unter Marktwert

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Gerade haben sechs Traditionsklubs eine offizielle Lobbygruppe zur besseren Fernseh-Vermarktung gegründet. Der 29. Spieltag gibt Frankfurt, Bremen und den anderen auf den ersten Blick recht - wenn bloß der Sport nicht wäre.

Von Philipp Selldorf

Wie viel die großen Traditionsvereine zur Bedeutung und zum Ansehen und schlechthin zum Gemeinwohl der Bundesliga beitragen, hat der 29. Spieltag imponierend nachgewiesen. 45 000 Zuschauer kamen am kalten Freitagabend zum Spiel der Hertha, ausverkaufte Häuser gab es in Bremen, Stuttgart und Hamburg, und dass in Frankfurt (51 000 Zuschauer) ein paar Plätze frei blieben, lag nicht an mangelnder Nachfrage in der Eintracht-Gemeinde, sondern am Gegner aus Hoffenheim, der seinen Fan-Block nicht voll bekam. Diese kleine Besucher-Statistik darf als Statement verstanden werden.

Als die besagten Traditionsklubs neulich die Lobby-Gruppe "Team Marktwert" gründeten, deren Zweck es ist, den beteiligten Marken einen höheren Anteil bei der Verteilung der Fernsehgelder zu verschaffen, gab es wenig Beifall, aber Empörung und Einwände von allen Seiten. Der Initiative, der auch der 1. FC Köln angehört, wurde Arroganz und Selbstgerechtigkeit vorgeworfen; man kritisierte die Mittelständler, durch Grüppchenbildung die Spaltung der Liga zu betreiben und das Solidarsystem zu unterwandern; man sprach ihnen das Recht auf Sonderrechte ab. Aber die Fakten des 29. Spieltags kann kein Kritiker leugnen. Es waren ja nicht nur die vollen Stadien, sondern auch die Bilder der emotionalen Anteilnahme, die in diesen Festspielstätten zu besichtigen waren: Das Fernsehen zeigte verzweifelte Fans von Werder Bremen, konsternierte HSVler, aufgebrachte Eintrachtler, leidenschaftlich mitfiebernde VfBler - große, echte, ergreifende Gefühle.

Trotzdem wird das "Team Marktwert" die Fakten des 29. Spieltags lieber meiden, wenn es künftig um die Umverteilung der Fernseh-Millionen wirbt. All die schönen vollen Stadien und all die wahrhaftigen Empfindungen der Anhänger haben ja nicht verhindern können, dass die Traditionsklubs ihre Spiele verloren haben, wobei es die Hertha sogar ohne Niederlage geschafft hat, zu den Verlierern zu gehören.

Hoffenheim, Darmstadt, Ingolstadt oder Augsburg - jene Adressen, von denen sich Traditionsklubs vornehm abzugrenzen versuchen - brauchen sich nach diesem Spieltag gar nicht die Mühe zu machen, mit Werten wie Solidarität und Gerechtigkeit zu argumentieren, sie können die sportlichen Tatsachen sprechen lassen. Zumal sich nach diesem Spieltag die Verdachtsmomente verdichten, dass zwei Gründungsmitglieder des Marktwert-Teams demnächst aus dem privilegierten Kreis ausscheiden könnten - aus der zweiten Liga werden Werder Bremen und Eintracht Frankfurt kaum die Stimme für mehr Markengerechtigkeit in der Eliteklasse erheben wollen.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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