Kommentar:Taktisches Kalkül

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Statt zu warten, dass auf ihn eingeschlagen wird, schlug Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz lieber selbst los. Er fordert strukturelle Änderungen und mehr Einsatz. Die Diskussion ist spannend, der Zeitpunkt aber gibt dann doch zu denken.

Von René Hofmann

Auch wer dem Militarismus eher skeptisch gegenübersteht, wird zugeben müssen: Der Präventivschlag ist eine interessante Strategie; ein Angriff, der dem eines Gegners zuvorkommen und diesen vereiteln soll, also eine Offensive in defensiver Absicht. Schwimm-Bundestrainer Henning Lambertz hat diese Strategie gerade in Rio vorexerziert. Als auch der letzte Medaillenkandidat enttäuscht aus dem Pool geklettert war und sich abzeichnete, dass die deutschen Schwimmer ihre schlechte Bilanz aus London wohl noch unterbieten werden, war klar, was passieren würde: Lambertz würde sich etliche kritische Fragen gefallen lassen müssen. Nicht nur von Journalisten. Auch vom Deutschen Schwimm-Verband (DSV), dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem für die Sportförderung zuständigen Bundesinnenministerium (BMI). Statt zu warten, dass auf ihn eingeschlagen wird, schlug Lambertz lieber selbst los. Die Journalisten sparte er in seiner Philippika klug aus. Alle maßgeblichen Sportinstanzen hierzulande aber dürfen sich von seinem Rundumschlag getroffen fühlen.

Es muss sich etwas ändern an der Struktur, sonst können wir es mit dem Leistungssport, der auf Medaillen zielt, gleich ganz bleiben lassen: Das ist Lambertz' Kernthese. Nun soll sich ja auch viel ändern im deutschen Sport, an einer neuen Struktur basteln DOSB und BMI schon länger, im Herbst soll sie präsentiert werden. Mit dem gleichen Geld mehr gewinnen: Diese Rechnung wird dabei angestrebt. Die wird aber nicht aufgehen, mahnt der Vor-Schwimmer schon jetzt. Nicht nur in seiner Sportart. Generell sei nur mit mehr Einsatz auch mehr zu holen.

Die Diskussion ist spannend. Der Zeitpunkt allerdings, an dem Lambertz sie lostrat, der gibt dann doch zu denken. Just in dem Moment, in dem sich die Erkenntnis manifestiert, die deutschen Schwimmer könnten in Rio zu einem neuen Tiefpunkt abtauchen, fällt ihrem Vor-Sprecher ein, woran es alles fehlt. Vor Beginn der Schwimmwettbewerbe war viel von Tageslichtlampen die Rede gewesen, von Besuchen in Schlaflaboren, speziellen Trainingslagern und allen erdenklichen Tricks, um den Biorhythmus der deutschen Wasser-Aficionados auf die späten Startzeiten einzustellen. Elite-Team, Olympia-Team, Perspektiv-Team: Viel wurde probiert, viele reisten mit verheißungsvollen Zeiten und entsprechend optimistisch an. Klagen an der Ausstattung wurden kaum vernommen. Die kommen erst jetzt, mit der Enttäuschung. Nun aber so laut, dass sie kaum zu überhören sind.

Da mag viel taktisches Kalkül mitschwingen, eine auf die Zukunft gerichtete Positionierung. In der Gegenwart steht der Cheftrainer, dessen auslaufender Vertrag demnächst verlängert werden soll, damit aber ein bisschen so da, wie seine Schwimmer in Rio nicht dastanden: als schlechter Verlierer.

© SZ vom 12.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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