Kommentar:Tadellos vermurkst

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Ein Abstieg gilt als Strafe für vorausgegangene Sünden. Diesmal könnte es Klubs erwischen, die gar nicht so wahnsinnig viel falsch gemacht haben.

Von Christof Kneer

Am Wochenende hat Mario Gomez gesagt, er habe in der Bundesliga "mehr Gemurkse als sonst was" festgestellt. Gomez darf so was sagen: Erstens, weil direkte Sätze in der Ja-gut-ich-sach-mal-Branche immer ein Vergnügen sind; zweitens, weil Gomez schon viel von der Welt gesehen hat und deshalb zu vergleichender Lektüre befähigt und berechtigt ist. Viele Spiele seien "von Druck, Angst, Nervosität und Einfach-nur-den-Arsch-retten-wollen" geprägt, hat Gomez weiter ausgeführt und seinen Zuhörern die Schlussfolgerung überlassen: In Wolfsburg - also da, wo der Weitgereiste inzwischen gelandet ist - ist das anders. Da spielt man unter Trainer Jonker trotz tabellarisch beglaubigter Abstiegsgefahr druck-, angst- sowie nervositätsfrei nach vorne: also dahin, wo Gomez steht und jene Tore schießt, die dem VfL jenen A. retten, den man nicht in die Zeitung schreiben darf.

Okay, Gomez darf so was sagen. Aber: Hat er auch Recht damit?

Der aktuelle Wochenspieltag dürfte bei Gomez gemischte Gefühle hinterlassen haben. Einerseits haben die Niederlagen von Mainz und Augsburg ja bewirkt, dass viele Klubs nun eigentlich nicht mehr murksen müssen, weil sie sich rechnerisch jetzt halbwegs sicher fühlen dürfen. Andererseits: So richtig gefallen sollte Gomez dieser Spieltag lieber doch nicht. Denn zu jenen Abstiegskandidaten, die ihr Ergebnis tadellos vermurkst haben, zählt auch der VfL Wolfsburg.

Man kann sich kaum vorstellen, dass eine so hochkarätig besetzte Elf wirklich absteigt, aber sollte das Unwahrscheinliche sich einen Spaß draus machen, doch einzutreten: Dann wäre das nicht nur mehr Überraschung als sonst was, wie Gomez wohl sagen würde. Es wäre auch: eine Strafe. Eine Strafe fürs jahrelange Verprassen erheblicher Millionen; und aktuell für den Bau eines Kaders, der viel zu sehr von Gomez' Toren abhängt.

Ein Abstieg als Strafe: Diese Lesart hat sich etabliert, wenn es zuletzt Hannover und Stuttgart oder davor auch mal Frankfurt, Hertha oder Köln erwischte (der größte Sünder ist übrigens noch nie bestraft worden, aber vermutlich hat der HSV nicht mal ein schlechtes Gewissen). In dieser Saison aber könnten Mannschaften absteigen, ohne besonders versagt zu haben. Für Darmstadt und Ingolstadt wäre die zweite Liga eher normal als unnormal, und auch Mainz und Augsburg lernen gerade, dass solide Arbeit und ein dazugehöriger Elf-Freunde-Fußball nicht mehr reichen, um den Klassenerhalt sicher zu haben. Das reicht nur, wenn die Etablierten murksen - nicht aber, wenn sie Kruse, Gnabry und Delaney verpflichten (wie Werder Bremen) oder, wie der HSV, einen Onkel haben, dessen Millionen im Winter aus Versehen mal zielsicher eingesetzt wurden.

Ob in der Liga Murksfußball gespielt wird? Das ist Geschmackssache - fest steht hingegen, dass viele Klubs aus Fehlern gelernt haben. Frankfurt, Hertha, Köln und Hoffenheim sind längst keine Abstiegskandidaten mehr, dazu kommt ein Aufsteiger (Leipzig), der als Absteiger nie in Frage kam. So könnten diesmal tatsächlich Ingolstadt, Augsburg oder Mainz bestraft werden - für nichts.

© SZ vom 07.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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