Kommentar:Stallgeruch statt frischem Wind

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Nahezu ungeteilten Beifall findet Sammers Verpflichtung in offiziellen Fußballkreisen, der Mann ist einer der Ihren. Anders ausgedrückt: Man schmort weiter im eigenen Saft.

Ludger Schulze

Es muss eine Mischung aus latentem Schuldbewusstsein und lichter Einsicht gewesen sein, die Jürgen Klinsmann im Sommer 2004 den Weg zur Verpflichtung als Bundestrainer geebnet hat.

Damals hat der Deutsche Fußball-Bund seinen schärfsten Kritiker ("Man muss den ganzen Laden auseinander nehmen") an die Spitze seines wichtigsten Ressorts gesetzt.

Mutig war das, die Türen der Verbandszentrale zu öffnen und den frischen Wind der Erneuerung herein zu lassen. Dieser Mut hat die Fußballverwalter der Nation vier Monate vor der WM mit der Entscheidung für den Sportdirektor Matthias Sammer verlassen.

Es wäre verfrüht und unfair, dem neuen Mann auf der neu geschaffenen Position die Befähigung abzusprechen, ehe er überhaupt den Stuhl hinter seinem Schreibtisch eingenommen hat.

Sammer soll eine exzellente Bewerbungsvorstellung gegeben haben, was Team-Manager Oliver Bierhoff bestätigte, der wie Klinsmann den branchenfremden Hockey-Trainer Bernhard Peters favorisierte.

Man darf jedoch daran erinnern, dass Sammer als Bundesligacoach von Borussia Dortmund und des VfB Stuttgart nicht eben zukunftsweisende Arbeit geleistet hat.

Spitzname: Motzki

In Stuttgart hat man ihn seines Arbeitsplatzes verwiesen, weil der Betonfußball seiner Mannschaft die Zuschauer, sofern diese ihr Urteil nicht in Form wütender Pfeifkonzerte abgaben, aus dem Stadion getrieben hat. Und als fanatischer Förderer des Nachwuchses ist der Dauergriesgram (Spitzname: Motzki) auch nicht eben ins Bewusstsein gerückt.

Jürgen Klinsmanns aktuelle Arbeit, aber auch seine Vorstellung von der Zukunft des deutschen Fußballs legt auf zwei Dinge den Akzent: eine offensiv ausgerichtete Spielstrategie sowie den permanenten Aufbruch zu neuen Ufern.

Ob Sammer der Mann ist, solche Ideen weiterzutragen und umzusetzen, ist eine Frage, deren Beantwortung die Öffentlichkeit mit Spannung entgegensieht.

Nahezu ungeteilten Beifall findet Sammers Verpflichtung in offiziellen Fußballkreisen, der Mann ist einer der Ihren und mit "Stallgeruch" behaftet. Anders ausgedrückt: Man schmort weiter im eigenen Saft.

Gerade auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung aber kann der deutsche Fußball, wie die beiden vergangenen EM-Turniere schonungslos bewiesen, keineswegs auf bewährte Erfolgsmethoden vertrauen.

Ein Experte wie Franz Beckenbauer lobt in dieser Hinsicht stets das französische Beispiel. Auch anderswo hat die Arbeit mit jungen Leuten deutlich mehr Ertrag gebracht, etwa in der Schweiz. Oder im deutschen Hockey.

Die inhaltliche Diskussion ist, wie Klinsmann richtig feststellte, von einer schädlichen Debatte um Namen und Personen überlagert worden. Verpasste Chancen sind offenbar Fußball-Alltag.

© SZ vom 10.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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