Kommentar:Showdown im Atahualpa

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Die WM-Qualifikation ist packend und dramatisch. Manche glückliche Sieger werden zu abgedrängten Verlierern. Diese Dramaturgie wird sich mit dem reformierten Turniermodus 2026 deutlich verändern. Vor allem in Südamerika.

Von Philipp Selldorf

Es gibt viele Rezepte für ein erfülltes Dasein, nicht wenige laufen auf die Empfehlung hinaus, im Hier und Jetzt zu leben, stets den Augenblick zu feiern und den Tag zu genießen (zum Beispiel mit einem weiteren geistigen Getränk am Tresen), als wäre es der letzte. Solche Ratschläge lassen sich umweglos auf die laufende WM-Qualifikation übertragen. In der geht es packend und dramatisch zu. Die Franzosen zum Beispiel, deren Trainer Didier Deschamps sich kaum retten kann vor Spitzentalenten, müssen um den Gruppensieg und ihre Teilnahme am Turnier zittern. Die Schweizer haben sämtliche neun Spiele gewonnen - und müssen womöglich trotzdem zu Hause bleiben, falls sie ihr Gruppenfinale in Portugal verlieren sollten. Der tragikomische Part bleibt wieder mal den Schotten vorbehalten, die sich gerade erst mit einem 1:0-Sieg gegen die Slowakei auf den zweiten Platz gearbeitet hatten, um ihn durch das 2:2 in Slowenien sofort wieder einzubüßen.

Wenn es um die WM ging, dann war - noch eine banalphilosophische Phrase - bisher immer auch der Weg das Ziel. Das wird sich um mehr als bloß ein paar Nuancen ändern, wenn zur WM 2026 der Turniermodus reformiert wird und statt 32 dann 48 Nationen teilnehmen. Aus erhabener deutscher Sicht wurde darüber stets abfällig geurteilt, dem erweiterten Feld teilt man hierzulande mit selbstverständlicher Überheblichkeit das unschöne Adjektiv "aufgebläht" zu. Weite Teile der zweiten bis dritten Fußballwelt vor allem in Afrika und Asien sehen die Vergrößerung hingegen als Chance, auch mal dabei sein zu dürfen. Fest steht aber: Der Preis der Reform ist hoch, die Dramaturgie des Wettbewerbs der Nationen zwischen den Turnieren wird leiden.

Vor allem in Südamerika dürften die Auswirkungen einschneidend werden. Während Europa zu den bestehenden 13 lediglich drei weitere Startplätze erhalten soll, bekommt die zehnköpfige Latino-Gruppe sechs feste Qualifikanten; zurzeit sind es vier sowie ein Playoff-Teilnehmer. Die aktuelle Limitierung macht aus dem obligatorischen Zulassungsverfahren noch eine echte Kontinentalmeisterschaft, die mindestens so aufregend ist wie das eigentliche WM-Turnier. Das große und herrliche Argentinien mit all seinen Weltstars befindet sich gerade ja in höchster Gefahr, den Spielen in Russland fernbleiben zu müssen. Lediglich ein Sieg im Atahualpa-Stadion in Quito/Ecuador, 2850 Meter über dem Meeresspiegel, vermag das Land zu retten. Ein schauriges Schicksal wäre das, aber auch ein Stück sportliche Gerechtigkeit. Wobei die Deutschen sich Schadenfreude sparen sollten, nachdem sie zwei WM-Finals und ein Viertelfinale gegen Argentinien gewonnen haben.

Eine letzte Kampagne nach altem Muster folgt noch, auf dem Weg nach Katar 2022. Man sollte sie genießen, schöner wird's nicht mehr in diesem Leben.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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