Kommentar:Schwach spielen, hoch gewinnen

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Mit Vorsprung durch Klinsmann hatten die vielen Tore wenig zu tun, maßgebend war die Qualität des thailändischen Fußballs, die irgendwo unterhalb der Höhen von Liechtenstein und Andorra anzusiedeln ist.

Von Philipp Selldorf

Wer nach dem Länderspiel gegen Thailand die Augen schloss und dem Verteidiger Arne Friedrich zuhörte, der fühlte sich plötzlich in einen Zustand totaler Zeitlosigkeit versetzt.

Dieser Moment mit dem Aushilfskapitän der Nationalelf hatte in jeder Epoche des Fußballs sein Zuhause. Außer dass sein Muskel "zugemacht" habe, teilte Friedrich mit: "Man kann der Mannschaft überhaupt keinen Vorwurf machen - wir haben es immer wieder probiert."

Herrlich. Es gibt sie noch, die alten Standards und Klassiker der Beschönigung und Beschwichtigung, und diese beruhigende Erkenntnis fügt sich zu der Einsicht, dass es folgerichtig auch diese uralte Sorte von Länderspielen weiterhin gibt: Nur unter Aufbringung von großen Mengen Humor und Toleranz zu genießen, ein Zeugnis traditioneller deutscher Testspieltugenden.

Man hatte ja fast geglaubt, Jürgen Klinsmanns Reformeifer hätte auch diese Gewohnheit hinweggefegt. Immerhin modifizierte das Team beim 5:1 in Bangkok ein anderes Standardmotto: Schwach spielen, hoch gewinnen.

Arme Ausbeute

Mit Vorsprung durch Klinsmann hatten die vielen Tore allerdings wenig zu tun, maßgebend war die Qualität des thailändischen Fußballs, die irgendwo unterhalb der Höhen von Liechtenstein und Andorra anzusiedeln ist. Daher sind fünf Trefferchen selbst unter Anerkenntnis von Reisestrapazen, Schlafdefiziten und 2-b-Besetzung eine arme Ausbeute.

Wunderbar, mal wieder hemmungslos rumzumeckern, nachdem seit Ausbruch der Klinsmania ein gnadenloses Regiment von Optimismus und Schöngeistigkeit geherrscht hatte.

Gegen dieses Gebot guter Laune ist übrigens nichts, wirklich gar nichts einzuwenden, es muss nur mal wieder erwähnt werden, dass es auch vor Klinsmann eine Nationalelf gegeben hat, die unter Verwendung von Nachwuchsleuten ordentliche und gute Spiele geboten hat, und dass Vorgänger Rudi Völler das Team keinesfalls geradewegs ins Verderben geführt hat. Von seinem Erbe profitiert auch Klinsmann.

Ob Völler aber den Mut und den Schwung aufgebracht hätte, die Mannschaft so zielbewusst wie Klinsmann auf das Staatsfußballprojekt 2006 einzustimmen? Gewiss nicht.

Insofern ist das Lieblingsteam der Deutschen in den Monaten, die dem traurigen Scheitern bei der EM folgten, einen gewaltig großen Schritt weitergekommen. Das Thailandspiel ergibt da nur eine winzige Fußnote.

© SZ vom 22.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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