Kommentar:Schon wieder Kehrwoche

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Der VfB hat kurz nach seiner Rückkehr in die Bundesliga seine kitschige, neue Geschichte schon wieder verloren und fällt zurück in bekannte Muster.

Von Christof Kneer

Es war ein schöner Sommer in Stuttgart. Hunderttausend Menschen waren auf den Cannstatter Wasen gekommen, um ein Fest zu feiern, und unter diesen Hunderttausend waren bestimmt auch jene vollzählig versammelt, die ein Jahr zuvor noch ein paar hundert Meter weiter eine zornige Abrissparty gefeiert hatten. Da hatten die Menschen, am Stadiontor rüttelnd, mit enormer Leidenschaft die Spieler beschimpft, die dem VfB Stuttgart nach 41 Jahren wieder einen Abstieg in die zweite Liga eingebrockt hatten. Ein Jahr später besangen sie nun ihre Helden auf einer eigens hingezimmerten Aufsteigerbühne, und die herzlichste Ekstase ernteten der Trainer Hannes Wolf, der Torjäger Simon Terodde und der Manager Jan Schindelmeiser.

Und alle, die sehr gute Augen hatten, konnten dazu noch das unsichtbare Motto entziffern, mit dem die wilde Sause untertitelt war. Irgendwo muss das jedenfalls gestanden haben: Wir Schwaben können alles - sogar absteigen.

Der VfB Stuttgart, der jahrelang vor allem dadurch aufgefallen war, dass er im Abstiegskampf den einen Trainer durch den anderen Trainer ersetzte, hatte vorigen Sommer plötzlich eine neue, gute Geschichte zu erzählen. Es war die kitschige und wahre Geschichte eines Vereins, der einen Abstieg als Kuraufenthalt genutzt hatte und sich nun wieder frisch gestärkt am alten Arbeitsplatz präsentierte - mit neuem Personal, mit Zuschauer- und Mitgliederrekorden und einem neuen, identitätsstiftenden Geist. Dieses Zweitligajahr war wie ein Rosamunde-Pilcher-Film, nur ohne Landschaftsaufnahmen.

Ein gutes halbes Jahr später hat Stuttgart seine kitschige, neue Geschichte schon wieder verloren. Stattdessen hat der VfB erst mal wieder die alte, schwäbische Kehrwochen-Geschichte neu aufgelegt und einmal kurz durchgefegt. Im Abstiegskampf wird also mal wieder der eine Trainer den anderen Trainer ersetzen, womit dann auch der letzte der drei Sommerhelden die Geschichte verlassen hat: Schindelmeiser und Terodde sind schon weg, ihnen folgt nun der Trainer Wolf - ausgerechnet jene drei Männer, denen die Mitglieder im Sommer so viel Vertrauen entgegenbrachten, dass sie ihre Skepsis verdrängt und mit über 80 Prozent Zustimmung für die Ausgliederung der Fußballabteilung aus dem Gesamtverein und damit für die Öffnung gegenüber Investoren gestimmt haben.

Die Bundesliga, in der inzwischen ein Dutzend Teams etwa auf demselben Niveau spielt, ist leider zu unromantisch, um solche Geschichten noch zuzulassen. Der sehr toughe Präsident Wolfgang Dietrich und der sehr branchenerfahrene Sportchef Michael Reschke sind zu der Erkenntnis gelangt, dass eine schöne Geschichte alleine im Verdrängungskampf der Fußball-Bundesliga noch kein Wert an sich ist. Dietrich hat Schindelmeisers Personalpolitik für zu naiv gehalten, und Terodde und Wolf haben nun auch Reschkes Ansprüchen nicht mehr genügt. Die Stuttgarter Bosse ziehen schnell, und ob sie richtig liegen mit ihrer Politik der lockeren Colts, wird sich unter anderem an der Auswahl des neuen Trainers erweisen. Dann wird sich schon erahnen lassen, ob der VfB unter Dietrich dabei ist, wieder zum HSV zu werden - oder ob der richtige Weg weiter beschritten wird, nur eben mit etwas verändertem Personal.

© SZ vom 29.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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