Kommentar:Schlechter als Catchen

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Lieber Elfmeterschinder und Schwalbenkünstler, verehrte Zasterzähler in Paderborn: So wird das nichts!

Von Klaus Hoeltzenbein

Nun gut, die Geschichte von Thijs Waterink, soweit bisher bekannt, ist keine schlechte. Darin kommt ein geheimnisvoller Ort vor, "im Umfeld des Stadions", und auch der in keinem Krimi entbehrliche große Unbekannte ist dabei. Er hatte sich für den Spieltag via Telefon mit Waterink verabredet. Damit aber hat's sich fast schon mit der Dramatik, denn die Summe, die übergeben wurde, war vergleichsweise bescheiden: 10.000 Euro.

Nicht für eine kunstvoll inszenierte Niederlage, sondern für einen Sieg über den Hamburger SV, was ja ohnehin im Spieltrieb jeder Mannschaft verankert sein sollte. Nicht für einen einzelnen Spieler, sondern für die gesamte Mannschaft des SC Paderborn. 500 Euro soll jeder Kicker als Zuschlag auf die vom Klub ausgeschüttete Pokalprämie von 6250 Euro erhalten haben.

Lieber Elfmeterschinder und Schwalbenkünstler, verehrte Zasterzähler in Paderborn: So wird das nichts! Da muss mehr kommen, die folkloristische Kraft der Affäre reicht derzeit nicht aus. Da fehlt's an historischer Bildung, denn bislang ist es nur die billige Coverversion eines Skandals, ein Abklatsch der siebziger Jahren.

Simulierte Verletzung in der 66. Minute

Der Lorenz, Max, der lacht Euch aus! 70.000 Mark hat der für einen Sieg von Eintracht Braunschweig verlangt - vor 34 Jahren! Okay, das war Bundesliga, die Wettaffäre ist dort derzeit nicht angekommen. Damals aber hatte die Seele des Spiels noch einen fairen Wert. Heute wird eine Mannschaft schon für ein besseres Taschengeld zur Laienspielschar.

Damit nur niemand auf die Idee kommt, der neue Skandal sei schon besser als der alte, hier die Spitzenanekdote von damals (um jedem, der sich offenbaren will, anzuzeigen, wie hoch die Messlatte liegt): Am 5. Juni 1971 gastierte Oberhausen in Braunschweig, erwartet worden war ein Heimsieg, das Spiel aber endete 1:1. Bei dieser Partie gab's keine Vorkasse, der Geldbote, der auf der Tribüne gesessen hatte, entschwand kurz vor Abpfiff in Richtung Flughafen Waggum.

Lorenz hatte sich mittels einer simulierten Verletzung nach 66 Minuten auswechseln lassen und nahm die Verfolgung auf. Im Fußballtrikot. Und in einem Fahrzeug der Polizei. Tatütata, der Lorenz, der ist da - der Flüchtige wurde an der Einstiegsluke der Privatmaschine gestellt und vor den Augen der als Chauffeur dienenden Ordnungskraft zur Herausgabe eines Anteils gedrängt: "Geben Sie wenigstens 40.000 Mark. Die Jungs wollen doch alle in den Urlaub." Gegen Quittung wurde die Summe überreicht.

Im Mittelpunkt standen damals Torhüter, die ins Leere griffen, Verteidiger, die absichtlich neben den Ball traten, und Stürmer, die am Tor vorbei zielten anstatt hinein. All das lag außerhalb der Vorstellungswelt des Publikums. Der Schock war groß, weil die Spieler nichts weniger interessierte als ihre Existenzgrundlage, der sportliche Wettbewerb.

Enthemmte Mitnahme-Mentalität

Diese enthemmte Mitnahme-Mentalität ist offenbar auch ein Kernmotiv in der neuen Affäre. Der Fortschritt gegenüber der alten zeigt sich in den Darstellern, die sich dazugesellt haben: die Schiedsrichter, die Anbieter von Wetten, und jene Netzwerke, die darin leichtes, schnelles Geld verdienen. Auch deshalb wirkt die Affäre so faserig, so unüberschaubar, so schwer zu orten.

Das wird sie bleiben. Der Bundesliga-Skandal von damals folgte zumindest, bizarr genug, noch einer Idee des Sports: den Abstieg vermeiden und damit Geld verdienen. Heute heißt das Motto: Abkassieren, egal wie. Vergleichbar ist das, was nun offenbar wird, mit dem Kokainhandel. Auch da gibt es viele regionale Zellen, jede für sich dreht ihr eigenes Ding.

Schauspiel statt Wettkampf

Der Verführung durch die Fußball-Wetten waren sie nicht nur im Berliner Café King erlegen - auf allen Zetteln wird international kombiniert. Eine Dreierwette mit Spielen in Deutschland, Kroatien und Usbekistan ist kein Problem. Wer ahnt, wie der Schiedsrichter pfeift, hat einen Riesenvorteil. Fußballspiele sehen aus wie Paderborn gegen den HSV - garniert mit Slapstick-Nummern, armseliger als beim Catchen. Wem soll man glauben, wenn nicht mal mehr die Schwalben echt sind?

Mit weiteren Schockwellen ist zu rechnen, wer nicht global denkt, hat verloren. Besonders die Live-Wetten im Internet strapazieren die Vorstellungskraft. Wer bekommt den ersten Einwurf? Wer fliegt vom Platz? - auch darauf gibt es satte Kurse. Ein Zockerprofi braucht nur eine Strategie: Sein Strohmann schaut auf Premiere zu und bucht per Internet wie verabredet die Wette.

In Minute 80, die eigene Elf führt 3:0, setzt dann der eingeweihte Spieler auf dem Rasen an zur Rot und Geld bringenden Grätsche. So ein Spiel wäre nicht verschoben, der Schnitt trotzdem gemacht. Selbst Max Lorenz würde über dieses Schurkenstück staunen. Und über den Fußball, der statt Wettkampf Schauspiel ist.

© SZ vom 2.2.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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