Kommentar:Samstag der Schmerzen

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Drei schwere Verletzungen, drei unterschiedliche Urteile. Der vierte Bundesliga-Spieltag zeigt, dass trotz Videobeweis das Foulspiel in der Liga unterschiedlich bewertet und sanktioniert wird. Es richtet halt weiterhin der Mensch, nicht der Computer.

Von Klaus Hoeltzenbein

Revolutionen, und die Einführung des Videobeweises in der Bundesliga ist eine Revolution, brauchen Zeit. Wenn sie am Ende überhaupt akzeptiert werden, dann nur, weil die Ziele überzeugen. Der Weg aber, das lehrt die Geschichte, ist oft blutig. Verglichen mit den historischen Zäsuren handelt es sich bei dem, was gerade in den deutschen Fußball-Stadien diskutiert wird, natürlich nur um ein Revolutiönchen, aber blutig wird es dort plötzlich auch. Und die erste Frage nach diesem Samstag, einem Spieltag der Schmerzen, lautet: Warum? Und die zweite lautet: Hätten die Vorfälle in Stuttgart, Bremen, Leipzig mit Hilfe des Videobeweises nicht anders, nicht synchron sanktioniert werden können?

Drei schwere Verletzungen führen zu drei unterschiedlichen Urteilen

Warum also kam es an diesen drei Spielorten zu schockierenden Verletzungen? Zufall? Nur eine mediale Verknüpfung von Bildern, wie man sie in dieser Dichte selten an einem einzigen Spieltag sieht? Stuttgarts Gentner, wie er vom Torwartknie getroffen regungslos auf dem Rasen liegt; Bremens Kruse, der mit Schlüsselbeinbruch ins Krankenhaus transportiert wird; Gladbachs Kramer, dem eine Stollensohle des Leipzigers Keita ein Loch in die Lippe bohrt. Einzelfälle? Oder doch ein Indiz für eine durch weiterentwickelte Athletik generell zunehmende Rasanz auf dem Rasen? Wo zudem so früh in der neuen Saison noch nicht bei jeder Fluggrätsche alle Koordinaten stimmen. Weshalb das gestreckte Bein nicht exakt dort landet, wo es landen soll.

Jenseits des Rasens, im Zivilrecht wie im Strafrecht, ist Fahrlässigkeit eine streng sanktionierte Kategorie. In der Spezial-Justiz des Fußballs allerdings werden auch ähnlich gelagerte Fälle, trotz Videobeweis, höchst unterschiedlich und oft in Richtung Freispruch interpretiert.

Strenge waltete in Leipzig: Nach Rücksprache mit seinem in Köln vor dem Bildschirm sitzenden Video-Assistenten sah sich Schiedsrichter Fritz zu Recht darin bestätigt, Naby Keita mit Rot vom Platz zu stellen. Den Kontrast lieferten die Bilder aus Bremen: Dort entschied Schiedsrichter Brand milder, obwohl auch die Attacke des Schalkers Kehrer gegen Max Kruse mehr als nur das Motiv der Fahrlässigkeit erfüllte. Zwar berührte Kehrer leicht den Ball, er traf Kruse aber auch hart am Sprunggelenk, worauf nicht dessen Sprunggelenk, sondern das Schlüsselbein brach, auf dem er gelandet war. Ein Rustikaleinsatz von Verteidiger gegen Stürmer, der aus der Gelb- in die Rot-Kategorie hätte befördert werden können.

Der Videobeweis ist in vier Fällen vorgesehen: bei Toren, bei Elfmetern, bei roten Karten und der Verwechslung von Spielern. Es scheint gerade so zu sein, als nehme sich die Liga an jedem Spieltag eines dieser vier Kapitel vor. Quervergleiche sind dabei nicht immer fair und präzise, erhöhen jedoch den Erkenntnisgewinn. So muss besonders das schnelle Stuttgarter Urteil von Schiedsrichter Winkmann beim Luftangriff des Wolfsburger Torwarts Casteels gegen Christian Gentner angezweifelt werden. Der Ermessensspielraum ist hier viel zu breit, wenn er einen Verzicht auf jedwede Sanktion erlaubt.

Es war ein Unfall, aber der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit hätte im Urteil zwingend näher am Keita-Rot angesiedelt sein, mindestens aber Kehrer-Gelb zur Folge haben müssen. Dass überhaupt keine Karte kam, ist nur aus einem Grund entschuldbar: Der Video-Assistent wird helfen für mehr, aber nicht für absolute Gerechtigkeit zu sorgen. Es richtet auch nach der technischen Revolution der Mensch, nicht der Computer. Es bleibt also der menschliche Makel, und damit bleiben die Debatten.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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