Kommentar:Risiko Peitsche

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Hinter dem bizarren Rechtsstreit um den Derbysieg im Galopp stecken handfeste Interessen. Für den exzessiven Peitschengebrauch ihrer Jockeys sollen die Pferdebesitzer direkt bestraft werden und fürchten hohe Einbußen.

Von Ulrich Hartmann

Im Sitzungssaal des Galoppverbands grüßt die Pferde-Idylle nur noch von der Wand. Zeichnungen von tollenden Fohlen, liebevoll umsorgten Pferden und aufgeräumten Ställen zieren jenen Raum, in dem sich in den vergangenen Wochen ein verbandsjuristisches Debakel von historischem Ausmaß abgespielt hat. Denn im Streit um das zulässige Maß von Peitschenhieben während eines Rennens hat sich innerhalb des Direktoriums für Vollblutzucht und Rennen (DVR) ein Graben aufgetan wie bei einer Erdplattenverschiebung. Ende April soll die Rennordnung modifiziert werden, doch die späte Einsicht konnte nicht verhindern, dass sich auf dem grasgrünen, an den Turf der Rennbahn erinnernden Teppich des Sitzungssaals ein sportrechtlicher Skandal ereignet hat.

Das Renngericht des DVR hat es gewagt, eine das Reglement gravierend einschneidende Entscheidung des Oberen Renngerichts zu ignorieren. Die untere Instanz hat somit die obere brüskiert. Sie hat deren Entscheidung, dass mehr als die zulässigen fünf Peitschenhiebe zu einer Disqualifikation des Pferdes, also zu einer Bestrafung der Besitzer führen, demonstrativ zum "Nicht-Urteil" degradiert - wegen vermeintlicher Verfahrensfehler.

Die ganze Branche wehrt sich gegen das Urteil

Das Obere Renngericht um seinen Vorsitzenden Günter Paul - immerhin ehemaliger Präsident des Hessischen Staatsgerichtshofs - ist in der Sitzung des Renngerichts in Abwesenheit bloßgestellt worden. Als "eklatant rechtsfehlerhafte Entscheidung" bezeichnete Gottfried Reims als Vorsitzender des DVR-Kontrollausschusses das Urteil des Oberen Renngerichts: "Es sollte schnellstmöglich im Papierkorb verschwinden." Genau das tat das Renngericht im bildlichen Sinne: Es ignorierte das Urteil seiner übergeordneten Instanz grimmig und wies den Einspruch gegen den Derby-Sieg des neunmal gepeitschten Hengstes Isfahan vom Juli 2016 zum zweiten Mal zurück.

Die emotionale Schieflage im Galoppverband offenbart sich am Zerwürfnis der Instanzen. Das Problem ist aber nur oberflächlich ein juristisches, es geht um das wirtschaftliche Risiko. Mit der Maßgabe, ab dem sechsten Peitschenhieb bedingungslos zu disqualifizieren, wären die stark kapitalisierten Pferdebesitzer aus deutschen Wirtschafts- und Adelsfamilien den Jockeys machtlos ausgeliefert. Ein millionenschwerer Sieg könnte mit einem Wimpernschlag zerplatzen. Dieser kapitalen Gefahr wollen sich nicht mal die zumeist freiberuflichen Reiter selbst aussetzen. Eine ganze Branche wehrt sich mithin gegen das Urteil ihrer höchsten juristischen Instanz.

Bei Peitschenvergehen wurden also immer nur die Jockeys bestraft, aber nie die Pferdebesitzer - und so wollen es alle Beteiligten unbedingt beibehalten. Eher würde der Galoppverband den Jockeys durch eine Änderung der Rennordnung die Peitsche ganz wegnehmen, als durch deren womöglich leichtsinniges Fehlverhalten ein kostspieliges Tohuwabohu auf deutschen Galopprennbahnen zuzulassen.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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