Kommentar:Realpolitik statt Revolution

Lesezeit: 2 min

Von Philipp Selldorf

In der Ausgabe Nr. 27 der Zeitschrift Sportbild stand ein Artikel über Auseinandersetzungen im Deutschen Fußball-Bund, der die Überschrift "Sauhaufen DFB" trug und die Prophezeiung wagte: "Am 23. Oktober wird über Mayer-Vorfelders Zukunft entschieden."

Und zwar auf dem Bundestag des DFB, bei dem, so sah es bis gestern aus, der Präsidentschaftsbewerber Gerhard Mayer-Vorfelders von einer starken Opposition weggefegt würde. Doch die Funktionäre, der sogenannte Sauhaufen, handelten schneller, als man ihnen zugetraut hatte. Schon am 9. Juli fällten sie radikal und schonungslos ihr Urteil über den nicht länger erwünschten Vorsitzenden MV.

Zu den Waffen!

Demnach wird Mayer-Vorfelder als Präsident des DFB durch Oppositionsführer Theo Zwanziger ersetzt - und wird künftig nur noch Präsident des DFB sein. Eine typisch deutsche Revolution ist da also geboren worden. Zu den Waffen! hat man gerufen, und hat sich dann viele Stunden lang mit Worten beworfen - bis man sich endlich einig wurde, alles beim Alten zu belassen.

Und so ist der Effekt des ausgefallenen Aufstands ein Kompromiss, der gar nichts gemein hat mit der kriegerischen März-Stimmung, die vor der gestrigen Sitzung herrschte. Wir erinnern uns: DFB-Vorstand Nelle klagte über die "grässliche Stimmung" im Verbandsvolk und identifizierte MV als "Wurzel allen Übels". So heiß kochte die rebellische Stimmung in den Provinzen des deutschen Fußballreichs, dass die Wortführer meinten, der alte Patriarch habe "keine Chance" mehr.

Prompt erhob sich aus der Mitte der Führung der Kandidat der Opposition: Schatzmeister Zwanziger wagte es, sich gegen den Autokraten zu erheben. MV schien am Ende, der alte Stratege schlagartig geschafft.

Er wird Königen die Hände schütteln

Sein Ende sieht nun so aus: Mayer-Vorfelder gibt der WM 2006 als führender Vertreter des deutschen Fußballs sein Gesicht, er wird Königen, Staatschefs und Spielführern die Hand schütteln, die großen Reden halten und als strahlender Präsident im Fernsehen auftreten - während Zwanziger am Schreibtisch sitzt und die Arbeit erledigt. Diese geradezu lächerliche Aufgabenteilung dürfte exakt dem Geschmack des Amtsinhabers entsprechen.

Wer Mayer-Vorfelders zeitlebens hemmungslos praktizierte Liebe zur Ämtervielfalt kennt, der weiß, dass er die Trennung vom Präsidentenposten wie die Amputation von Armen und Beinen empfunden hätte. Indem man MV den Titel und dessen Glanz lässt, vermeidet man die Auseinandersetzung mit ihm - statt für die Revolution hat sich der Verband für die Realpolitik entschieden. "Sauhaufen DFB" - das ist keine besonders elegante, aber doch ziemlich gelungene Überschrift.

(SZ vom 10.7.2004)

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: