Kommentar:Null Punkte

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Lucien Favre dachte, er könne Weggänge durch Talente ersetzen, Alexander Zorniger stellte das System um. Zwei Fehleinschätzungen, eine Folge: null Punkte.

Von Klaus Hoeltzenbein

Wenn nicht mehr viel zu helfen scheint, werden die Helden von einst beschworen. Am Niederrhein stünden solche eigentlich ausreichend zur Verfügung, gerade jetzt, vor dieser großen Reise: Zum FC Sevilla geht es am Dienstag, zum ersten Auftritt von Borussia Mönchengladbach in der Champions League. Im Vorläufer dieses Wettbewerbs, dem Europacup der Landesmeister, waren die Borussen häufiger zu Gast, gegen den FC Liverpool verloren sie 1977 erst im Finale. Neben dem Mythos von der Fohlen-Elf blieb diese nostalgische Zeile: "Netzer, Vogts und Heynckes Jupp / holen den Europacup!"

Das wäre vor dem Trip nach Sevilla auch ein schöner Holperreim für einen Klub in Not gewesen - und auf einer Hose. Als aber Thorgan Hazard aus der Krisensitzung kam, nach diesem bitteren 0:3 gegen den HSV, beschwor der Belgier auf dem Hinterteil seiner grauen Schlabberhose in Großbuchstaben einen Kraftprotz aus dem Comic: Popeye! Jenen knorrigen Matrosen, der Spinat aus der Dose löffelte und deshalb nicht nur viel Eisen, sondern auch sonst alles hatte, was der Borussia plötzlich fehlt: Schlagfertigkeit - und keine Angst vor niemandem. Gladbach ist Letzter und dabei in einen Wettstreit mit dem VfB Stuttgart geraten, wer von den beiden Null-Punkte-Traditionsteams seinen historisch einmaligen Fehlstart länger durchhält.

So eine September-Tabelle ist das Spiegelbild der Fehlleistungen des Sommers. Und nach vier der 34 Spieltage wird jeder Kaltstart schon zum heißen Trend. Beiden Teams ist gemein, dass der Elan, den sie im Finale der Vorsaison entwickelten, schon wieder wegtrainiert (oder weggewirtschaftet) wurde. Borussia begeisterte jüngst noch als beste Elf der Rückrunde; dem VfB gelang das Kunststück, im Kampf gegen den Abstieg sein Publikum zu begeistern. Doch futsch ist die Euphorie, auf die bei beiden die Zukunft gründen sollte.

Was sicher daran liegt, dass beide Klubs eine Zäsur erlebten. Bei Gladbach wandelte sich (zwangsweise) der Kader, in Stuttgart wurde (freiwillig) das System gewechselt. In Gladbach musste der alte Trainer die Nationalspieler Kruse (nach Wolfsburg) und Kramer (nach Leverkusen) ziehen lassen, in Stuttgart ließ der neue Trainer von einer am Ende der Saison seriös abgesicherten offensiven Taktik auf das Hochrisiko-System des Vollgas-Pressings umstellen. Der eine Trainer, Favre, verschätzte sich, als er dachte, die Lücken seien schnell mit Talenten zu stopfen, die er - wie schon oft - besser macht. Der andere Trainer, Zorniger, überforderte mit seiner System-Radikalität. Was hilft? Spinat? Wohl schon, denn wer nach vier Spieltagen schon sieben Punkte hinter Aufsteiger Ingolstadt und sechs hinter Aufsteiger Darmstadt liegt, braucht Nahrung für die Nerven.

© SZ vom 14.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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