Kommentar:Mitgefühl im Gewitter

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Drei Spiele, drei Niederlagen - Schalke 04 hat einen Fehlstart in die Saison hingelegt. Nun will der Vorjahreszweite in der Champions League zeigen, dass nicht alles falsch war, was der Klub sich im Transfersommer ausgedacht hat.

Von Philipp Selldorf

Es gibt den Konjunktiv, und es gibt den Fußball-Konjunktiv. Der Konjunktiv beschreibt, was möglich wäre oder was möglich gewesen wäre. Der Fußball-Konjunktiv hingegen negiert, was geschehen ist und setzt die Eventualität an die Stelle der Realität. Diese Methode ermöglicht Fußballern ihre eigene Wirklichkeit. "Wenn wir das Tor in der fünften Minute machen, dann gewinnen wir das Ding", sagen sie nach einer 0:3-Niederlage und glauben daran. So hat jetzt auch Schalkes Manager Christian Heidel alternative Fakten geschaffen, als er feststellte: "Das ist eigentlich ein Spiel, das unentschieden ausgeht." Tatsächlich hatte Schalke in Mönchengladbach 1:2 verloren, und nicht so knapp, wie es klingt: Breel Embolos Anschlusstor fiel eine Minute vor dem Abpfiff. Ein Bilderbuchtor, aber auch eines, das Bedenken weckt: Im vierten Saisonspiel, den Pokalprolog in Schweinfurt eingerechnet, war es Schalkes erster Treffer aus dem Spiel heraus. Bis dahin bestand die Ausbeute aus zwei Elfmetertoren und einem Schweinfurter Eigentor.

Den Schalkern wäre wohler, wenn sie sich auf die aktuell mangelhafte Angriffsleistung berufen könnten. Wahr ist zwar, dass sie in Gladbach einige erstklassige Gelegenheiten vergeben hatten. Unwahr ist aber, dass dies das einzige Problem ihres Auftritts war. Es stimmt, platt gesagt, hinten und vorne nicht (und in der Mitte übrigens auch nicht) beim Vorjahreszweiten, wie es auch Heidel bemerkte, als er in einer Mixtur aus Fußball-Konjunktiv und Empörung das 0:1 durch Matthias Ginters Kopfballtor kommentierte: "Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass man das verteidigt." Gegnerische Kopfballtore nach Ecken und Freistößen waren in den Schalker Plänen nicht mehr vorgesehen, nachdem man im Sommer dem Kopfballriesen Naldo den Kopfballriesen Salif Sané zugesellt hatte. Was Kopfballduelle und Zweikämpfe angeht, lagen Naldo und Sané in der vorigen Saison statistisch ligaweit vorn. Statistiken sind im modernen Fußball sehr populär, doch die Schalker erfahren gerade wieder, dass Statistiken oft bloß Scheinwahrheiten schaffen.

Die einzige Wahrheit ist, dass Schalke zurzeit zwar genauso viele Punkte hat wie der ständige Widersacher um die Champions-League-Plätze, Bayer Leverkusen. Dass dies aber kein Trost ist, weil Leverkusen genauso arm dran ist wie Schalke. Wobei letztere die Begegnung mit der unheimlichen Art bereits hinter sich haben, während Schalke das Treffen mit Bayern München unmittelbar bevorsteht. Beide Parteien kämpfen mit altbekannten Unvollkommenheiten: Heiko Herrlichs Bayer gelingt es nicht, das vorhandene Talent in Energie und Härte zu übersetzen. Domenico Tedescos Schalke besitzt Energie und Härte, schafft es aber nicht, den Gegner auszuspielen. In Gladbach wurden so viele lange Bälle aus der Abwehr in die Angriffszone geschlagen, dass kein Statistiker mehr mitzuzählen vermochte. Der technisch begabte Angreifer Mark Uth, zuletzt in Hoffenheim ein spielender Torjäger, verdiente Mitgefühl in diesem Gewitter.

Tedesco und Herrlich bekommen jetzt viel Zuspruch von den Trainerkollegen, und natürlich wäre es plump, ihnen den Fehlstart ihrer Teams anzulasten. Aber an ihrer Verantwortung für die Situation führt kein Konjunktiv vorbei.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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