Kommentar:Mit Dusel-Garantie

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Eine EM mit 24 Teilnehmern. Eine WM mit 40 Teams? Der Trend geht zu immer größeren Turnieren. Dabei ist die Spannung jetzt schon rar.

Von Christof Kneer

Klar, die deutsche Nationalelf hätte auch eine Vorrundengruppe mit Italien, Polen und der Türkei erwischen können. Es hätte aber auch eine Gruppe mit der Ukraine, der Slowakei und Albanien sein können. Wie jedes Kind auf den ersten Blick erkennt, unterscheiden sich diese beiden Gruppen auf dramatische Art und Weise: Die erste wäre die härtest denkbare Herausforderung gewesen, die zweite hätte den einfachsten Zugang ins Achtelfinale eröffnet. Auf ebenso dramatische Weise unterscheiden sich die Gruppen aber auch nicht: Es ist ja völlig wurscht, in welcher Gruppe der Weltmeister weiterkommt.

Es ist ein großer Unterschied, ob man etwas einfach nur weiß - oder ob man es schriftlich vor sich hat. Insofern hat die Ermittlung der EM-Vorrundengruppen einen schönen Erkenntnisgewinn gebracht: Nun, da man das Tableau gedruckt vor sich sieht, begreift man erst den raffinierten Hintersinn der Aufstockung von 16 auf 24 Länder. Der beliebte Vorwurf, wonach das Teilnehmerfeld durch Aufblähung beschädigt wird, zielt ins Leere. In Wahrheit haben die Marketingstrategen der Uefa die begehrteste Ware listig verknappt. Spannung? Die gibt's jetzt erst ab dem Viertelfinale.

Nähert man sich dem Turnier aber ohne Ironie, so fällt tatsächlich auf, dass es in den ersten beiden Wochen vor allem darum geht, vier der sechs besten Gruppendritten fürs Achtelfinale zu ermitteln. Das raubt der EM, bislang das Lieblingsturnier der Experten, ihren speziellen Charme: Jahrzehntelang war die EM ja ein kompaktes Spektakel, das sich nach der Vorrunde gleich in den Viertelfinals zuspitzte. Und um dorthin zu gelangen, musste man Gruppen überwinden, in denen sich - wie 2012 - auch mal Nationen wie Deutschland, die Niederlande, Portugal und Dänemark begegneten. Man konnte auch im alten Format Losglück haben, so wie man im neuen Format mal Losunglück haben kann. Aber im Grunde trägt ein 24er-Turnier den - politisch gewollten - Stempel: "Achtung!

Vorrunde mit Dusel-Garantie!" Es wäre gar nichts dagegen einzuwenden, Nordiren, Ungarn oder Albaner an der kontinentalen Sportmesse zu beteiligen, wenn der Ausweitung des Turniers eine solidarische Idee zugrunde läge. Der Kunde aber erkennt die Absicht und ist verstimmt: Es ist der älteste aller Funktionärstricks, vor Präsidentschaftswahlen Teilnehmerfelder aufzublähen; so wie der im Skandalressort versierte Jõao Havelange die WM erst auf 24 und dann auf 32 Teams aufpumpte, so geht das neue EM-Format auf Michel Platini zurück, der sich damit einst die Stimmen kleinerer Nationen organisierte.

Gianni Infantino, der freundliche Glatzkopf, der die EM-Auslosung moderiert hat, ist übrigens einer der Bewerber fürs Amt des neuen Fifa-Präsidenten. Von einem Wahlprogramm ist bisher wenig bekannt, außer, dass er sich sehr gut eine WM mit 40 Teams vorstellen kann.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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