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(Foto: Bernd Schifferdecker; asdf)

Schlechte Nachrichten für die Anhänger des Spektakels: In den Achtelfinal-Hinspielen dominierten die Pragmatiker, die alten Helden werden langsam müde.

Von Christof Kneer

Wenn der FC Bayern beim FC Liverpool antritt, dann kann man sich schon vor dem Spiel ungefähr denken, was nach dem Spiel das Thema sein wird. Selbstverständlich werden die aus Deutschland angereisten Berichterstatter ebenso wie die aus Deutschland angereisten Touristen aus dem Schwärmen nicht mehr herauskommen: Diese heilige Anfield Road, dieses ergreifende You'll-never-walk-alone, diese fabelhafte Gänsehaut! Diese entzückende Bill-Shankly-Statue! Dieser tadellose Regen! Und dieser herrlich erfrischende Wind!

Zumindest sind dies die von jedem handelsüblichen Reiseführer befohlenen Reaktionen, die natürlich unterschlagen, dass der Nebensitzer womöglich falsch singt, dass die Statue bereits Flugrost angesetzt hat, und dass der herrlich erfrischende Wind einfach nur saukalt ist.

Die Leute wollten Heavy Metal sehen, und jetzt spielte die Band plötzlich unplugged

So ist das ja manchmal mit den Erwartungen: Nein, es gab am Ende also kein Spektakel auf dem Rasen zu sehen; nein, Jürgen Klopp hat keine Zähne gefletscht. Und alle Medien, die sich vorgenommen hatten, nach Liverpools 7:4-Sieg alle elf Tore von elf verschiedenen Experten sezieren zu lassen, mussten nachher sehr tapfer sein. Nullnull ging's halt aus. Vom großen Mo Salah gab's nur Mittelgroßes zu sehen und vom manchmal zumindest geringfügig großen Robert Lewandowski so zwei, drei verlorene Kopfballduelle. Übrigens: am eigenen Strafraum.

Die gängige Geschichte war später die, dass das wohl ein eher untypisches Liverpool-Heimspiel gewesen sei. Die Leute auf den Tribünen brüllten nicht, weil die Jungs da unten kein Spektakel veranstalteten, und die Jungs da unten veranstalteten kein Spektakel, weil die Leute da oben nicht brüllten. Die Leute fühlten sich im eigenen Stadion erkennbar fremd: Es irritierte sie, dass ihr FC Liverpool an der Anfield Road eine Art Auswärtsspiel bestritt. So hatte der bekennend wilde Klopp seine bekennend wilden Außenverteidiger aus Respekt vor dem FC Bayern plötzlich zu defensiver Positionstreue verdonnert, und auch im Mittelfeld setzte er auf Kontrolle. Auf Kontrolle! Klopp!

Es fühlte sich an, als hätten die Leute Karten für Heavy Metal gekauft, und plötzlich zupfte die Band da unplugged.

Noch ist das Achtelfinale der Champions League erst zur Hälfte gespielt, aber es drängt sich bereits mit Macht jene Erkenntnis auf, die von den Heldennamen in der Branche (Messi! Ronaldo! Mbappé! Griezmann!) mitunter überstrahlt wird. Die Erkenntnis: Wer gut verteidigt, hat die beste Ausgangsposition, um Großes zu gewinnen. Grundsätzlich gab es zuletzt ja zwei unterschiedliche Arten von Fußball zu sehen, in den Nischen der Ligen wurden Konzepte und Spieler "entwickelt", wie man so sagt - aber auf den großen Bühnen galten weiter die archaischen Regeln. Die großen Titel gingen an Frankreich oder Real Madrid, monströse Pragmatikerteams, die ihre Wunderbuben vorne auf massiven Fundamenten tanzen lassen. Motto: Defensive ist nicht alles, aber ohne Defensive ist alles nichts.

In diesem Sinne gab es im Achtelfinale schon interessante Ideen zu sehen, nicht nur die Auswärtstaktik der Heimelf aus Liverpool. Die Bayern haben wider ihr Naturell einen technisch anspruchsvollen, aber offensiv desinteressierten Trapattoni-Catenaccio mit tiefen Abwehrlinien präsentiert, Atletico Madrid hat seinen scharfkantigen Zynismus mit Toren der Innenverteidiger perfektioniert, und Paris St. Germain hat unter Federführung von Thomas Tuchel mit gruppendynamischer Ganzfeldverteidigung überzeugt.

Die Defensive gewinnt Titel: Der alte Satz gilt mehr denn je, jetzt, da die offensiven Helden Messi und Ronaldo allmählich müde werden. Der kompaktesten Elf winkt als Belohnung das Champions-League-Finale im Stadion von Atletico Madrid - im Tempel der Abwehranbeter.

© SZ vom 23.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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