Kommentar:Jenseits der Schmerzschwelle

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Klaus Hoeltzenbein ist Leiter des Sportressorts. (Foto: N/A)

Lärm spielt im Sport oft eine strategische Rolle - aber man kann es auch übertreiben.

Von Klaus Hoeltzenbein

Eine gigantische Affäre des Weltsports ist geräuschlos durchs Land gezogen, weshalb sie dringend noch einmal aufgearbeitet werden sollte. Zumal sie dort, wo sie sich zutrug, in Atlanta, Georgia, mit dem Suffix "-gate" versehen wurde. Zumal sie also nun in einer historischen Reihe steht, die im nahen Washington ("Water-gate") ihren Anfang nahm und seither inflationär verlängert wird. Allein im Sport finden sich spektakuläre Affären wie Bloodgate, Clockgate, Grannygate, Homeworkgate, Ponygate, Spygage oder Tigergate (irgendwas mit Tiger Woods). Nun also: Noise-gate. Oder, weil das noch nicht das ohrenbetäubende Ausmaß dieser Geschichte beschreibt: The Noise-gate-scandal. Zu Deutsch: Der Krach-mach-Skandal.

Was war passiert? Eigentlich nichts, jedenfalls zu wenig. Im Georgia Dome, der Spielstätte des Football-Teams der Atlanta Falcons, war es viel zu leise. Dies meinte jedenfalls Roddy White, einst Event-Manager der Falcons und inzwischen suspendierter Auslöser der Affäre. Lärm, im Sport oft als "Höllen-Lärm" verklärt, hat ja durchaus eine motivatorische, bisweilen strategische Bedeutung. Aus diesem Grund legt nicht nur der FC Bayern knallende Klatschpappen auf die besseren Sitze, sobald in der Champions League Hochkaräter wie Real oder Barça kommen.

Über den Lärm als taktisches Mittel, als gezielte Verunsicherung des Gegners, diskutieren besonders die Tennisspieler unter Kreischen und Stöhnen seit Jahrzehnten. Und das nicht erst, seit die Portugiesin Michelle Larcher de Brito bei den French Open 2009 mit dem Rekordwert von 109 Dezibel gemessen wurde. Gut, es kommt immer auf die Entfernung zum Messgerät an, aber ein Düsenflugzeug in 30 Meter Distanz wird vergleichsweise nur mit einem Schalldruckpegel von 140 dB geführt, derweil Akustiker die Schmerzschwelle bei 130 dB ansetzen.

Da wären die Seattle Seahawks jedenfalls drüber, die für sich in Anspruch nehmen, den Weltrekord im Radaumachen zu besitzen. 2013 sollen dort 68 331 Zuschauer für 131.9 dB gesorgt haben. Sie waren damit lauter als die Fußballfans von Galatasary Istanbul, die zuvor als die Schreihälse des Planeten galten. Nun aber sind die Seeadler aus Seattle die direkten Rivalen der Falken aus Atlanta, was zurück zum Problem von Roddy White führt: Er hatte ein Lärm-Defizit festgestellt, besonders in den Szenen, in denen sich das Publikum die Seele aus dem Leib brüllen soll: "Make some nooiiissseeee!"

Also schritt Mr. White zur Tat, er legte ein paar Dezibel obendrauf. Über die Lautsprecher wurde zuvor aufgenommener Zuschauerlärm zum lauen Originalton aus dem Georgia Dome hinzu addiert. Beim Football kann Höllenlärm durchaus eine Hilfe sein, da dann die gegnerische Mannschaft ihrer Spielzüge nicht mehr verständlich ansagen kann. So ergab sich jene Gemengelage, die vorige Woche zum NFL-Urteil führte: Wegen Erzeugung von "artificial noise" ("künstlichem Lärm") in den Spielzeiten 2013/2014 haben die Falcons eine Strafe von 350 000 Doller zu zahlen, zudem verlieren sie einen nach den Gesetzen des US-Sports wichtigen Fünftrunden-Pick in der Spieler-Verlosung ("Draft") im Jahr 2016.

Was aber wird aus Mr. White? Zwar ist er derzeit für alle NFL-Jobs gesperrt, somit aber könnte er für die Formel 1 der ideale Mann sein. Die Serie, tönt es im Fahrerlager, sei höllen-leise geworden. Geschäftsschädigend leise. Im Winter wurde nun am Auspuff gefeilt, aber das genügt einem wie Ferrari-Chef Maurizio Arrivabene nicht. Er fordert: Die Formel 1 müsse wieder nach Heavy Metal klingen.

Also "Highway to Hell" von AC/DC? Aufgelegt von DJ White? Könnte theoretisch passen, nur: Die Falcons haben damals nicht sehr viel gewonnen, als Roddy White in Atlanta die Pegel aufdrehte.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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