Kommentar:In der Hyperinflation

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Müssten Fußballer, die wenig leisten, nicht eigentlich billiger werden? Nicht im irren Transfersommer 2017. Da kosten selbst Bankdrücker plötzlich das Doppelte. Wohin das noch führt? Zum Beispiel kriegt Werder Bremen Probleme.

Von Philipp Selldorf

Als Uli Hoeneß noch Manager des FC Bayern war, nahm er gelegentlich zur Entwicklung der internationalen Transfermärkte Stellung. Hier sah er rohe Kräfte gefährlich wüten und prophezeite ein schlimmes Ende: Vereine wie Atlético Madrid würden aufgrund ihrer hemmungslosen Ausgaben bald "gegen die Wand fahren". Nun stammt diese Bemerkung aus einer Zeit, als der Atlético-Präsident noch ein Potentat alter Schule war, der für den Erfolg auch unkonventionelle Mittel wählte. Zum Beispiel wendete Jesús Gil y Gil ein effektives Steuersparmodell an - zwei Jahre lang zahlte Atlético einfach gar nichts an den Staat. Das schlimme Ende kam dann tatsächlich, allerdings nur für den Chef: Gil y Gil starb 71-jährig an einem Gehirnschlag, in der Folge seines ausschweifenden Lebensstils, wie Kenner meinten. Atlético stieg derweil zwar in die zweite Liga ab, dies blieb aber eine Episode. Der Klub ist längst wieder eine große Nummer.

Inzwischen werden Männer wie Gil y Gil fast wehmütig als Typen erinnert, die den Fußball durch ihre Extravaganz bereicherten. Von Folklore scheint sich der Fußball mehr und mehr zu entfernen. Er sieht eher aus wie der bloße Gegenstand eines ökonomischen Prozesses, das Opfer seines eigenen Erfolgs. Nicht die Präsidenten, die sogenannten Märkte setzen die exzentrischen Trends. Auch Hoeneß hat längst festgestellt, dass die Ansichten eines Kaufmanns nur noch bedingt mit der gelebten Wirklichkeit übereinstimmen. Der Sommer 2017 bestätigt ihn. Nie wurde im Fußball so viel Geld bewegt wie diesmal. Tendenz: surreal steigend. Weshalb Hoeneß für seine Branche das Gefühl hat, "dass wir verdammt aufpassen müssen". Nicht wegen der Erstickungsgefahr im Geldspeicher. Sondern weil sich der Zuschauer abwenden könnte. Eine Sorge, die man sich zwar schon vor zwanzig Jahren machte, als Ronaldo (der dicke, nicht der schöne) für 55 Millionen Mark zu Inter Mailand wechselte. Die aber im Angesicht der wuchernden Geldmengen neue Qualität haben könnte.

Müssten Fußballer, die kaum spielen, nicht billiger werden? Nicht im Transfersommer 2017

Nie war so viel Geld im Fußball, aber nie war das Geld im Fußball so wenig wert. Das Spiel befindet sich in seiner privaten Inflation, und wenn ein Fußballer bei seinem Verkauf doppelt so viel kostet wie bei seinem Einkauf, obwohl er doch nur die Hälfte der kalkulierten Leistung erbracht hat, scheint die Hyperinflation nicht mehr fern zu sein. Eines von vielen Beispielen: Vor zwei Jahren kaufte Bayer Leverkusen den Mittelfeldspieler Kevin Kampl aus Dortmund für circa zehn Millionen Euro, weil Trainer Roger Schmidt ihn unbedingt wollte. Nach Schmidts Entlassung gibt es für Kampl keine Verwendung mehr bei Bayer - trotzdem bezahlte RB Leipzig nun 20 Millionen Euro Ablöse. Nach alter Lehre hätte es Rabatt geben müssen, weil Kampl überzählig im Regal stand. Aber er kostete das Doppelte.

Während der Preissprung auf dem Transfermarkt Vereine wie Leverkusen oder Leipzig eher weniger berührt hat, weil sie ohnehin liquide sind und ihrerseits teure Spieler in den hochdrehenden Kreislauf einbringen konnten, sind andere Erstligamarken in diesem Inflationssommer plötzlich noch ärmer dran gewesen als vorher: Im Gegensatz zum SC Freiburg oder dem 1. FC Köln musste Werder Bremen ohne das Einkaufsgeld aus Rekordverkäufen zurechtkommen; es gibt an der Weser auch keine Finanziers wie Klaus-Michael Kühne (HSV) oder Martin Kind (Hannover 96) und keinen Investor wie Mercedes-Benz in Stuttgart. Und einen Scheich oder Chinesen gibt es sowieso nicht. Weshalb Werders größter Transfercoup darin bestand, Max Kruse die Ausstiegsklausel abgekauft zu haben. Wo das alles hinführt? Nicht mal Uli Hoeneß wagt eine Vorhersage.

© SZ vom 02.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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