Kommentar:Im Sattel, egal wie

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Valentino Rossi, neunfacher Weltmeister, will drei Wochen nach Schien- und Wadenbein­bruch wieder ein Rennen fahren.

Von Birgit Schönau

Die Superstars des Sports werden ja gern verdächtigt, noch nicht mal den kleinen Finger zu rühren, wenn nicht unverschämte Summen dafür gezahlt werden, geschweige denn ein ganzes Bein. Und doch wird es kaum schnöder Mammon sein, der den italienischen Motorrad-Rennfahrer Valentino Rossi jetzt dazu bewegt, quasi von den Krücken direkt wieder auf seine Yamaha zu steigen. Am Dienstag absolvierte Rossi auf der Rennstrecke von Misano ein paar Testrunden, bevor der Regen seine Bemühungen unterbrach. Gleich danach ließ der Fahrer ausrichten, er werde am Mittwoch entscheiden, ob er am kommenden Wochenende beim Großen Preis von Aragónien an den Start gehen werde. Die Chancen ständen gut.

Etwas ist stärker: Die Angst vor dem Karriere-Ende

Während die italienischen Sportgazetten verzückt das "Wunder von Misano" herbeibeten, zeigen sich die Fans von Valentino Rossi in den einschlägigen Internet-Foren eher besorgt. Nur drei Wochen nach einem Unfall beim Motocross-Training mit Schien- und Wadenbeinbruch schon um die Kurven rasen zu wollen, das finden die meisten ziemlich verrückt. Das letzte Mal, dass Rossi nach einer ähnlichen Verletzung auf die Piste zurückkehrte, hatte er noch 41 Tage gewartet - und vier Rennen verpasst. Das war 2010, und die Weltmeisterschaft war für ihn gelaufen. Jetzt musste er einstweilen nur beim Großen Preis von San Marino ausfallen und blieb Vierter der Gesamtwertung.

Warum die Eile? Um Geld wird es kaum gehen. Seine neun WM-Siege haben Valentino Rossi zu einem der reichsten Sportprofis der Welt gemacht. Zudem ist er, was ihn für Werbeverträge noch interessanter und teurer erscheinen lässt, mit Abstand die schillerndste Persönlichkeit im Rennzirkus. Er allein bewegt die Massen an die Piste, weil die Leute ihn und seine Showeinlagen sehen wollen. Der 24-jährige Titelverteidiger Marc Marquez mag Rossi auch in diesem Jahr abgehängt haben, so populär wie der Italiener ist der Spanier noch lange nicht.

Rossi ist 38 Jahre alt. Vielleicht hat er Angst, der Zeit hinterherzufahren. Diese Saison könnte die letzte sein, also will er sie nicht vorzeitig abbrechen. Zum Teufel mit den Ärzten, diesen Spaßverderbern und Bedenkenträgern! Wozu trägt man den Spitznamen "Dottore" und einen veritablen Ehrendoktortitel, wenn auch nur in Kommunikationswissenschaften? Rossi schert sich einen Dreck um die Ratschläge seiner Mediziner. Er will rauf aufs Bike, rauf auf die Piste, egal wie, egal zu welchem Preis. Nur noch nicht dem Niederländer Michael van der Mark das Feld überlassen, seinem Ersatzfahrer, der ungefähr so berühmt ist wie die Zweitbesetzung der göttlichen Maria Callas. Der arme van der Mark, ebenfalls 24, war schon gesetzt für Spanien, man kann sich vorstellen, dass er seither einen Regentanz nach dem anderen aufführt, von krasseren Voodoo-Riten ganz zu schweigen. Alles umsonst, der Alte tritt nicht ab.

Den letzten WM-Titel holte Rossi 2009, im Vorjahr wurde er Zweiter. Er könnte sich auf dem Lorbeer ausruhen, die eigene Legende pflegen und sich um seine Rennschule in den Marken kümmern. Aber es gibt eine Angst, die stärker sein muss als die Furcht vor Unfällen und Schmerzen: der Bammel davor, einen Lebensabschnitt zu beenden, die Bühne zu verlassen und sich anders die Zeit vertreiben zu müssen. Bei den Superstars des Sports ist diese Angst ziemlich verbreitet, dagegen hilft kein Geld der Welt.

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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