Kommentar:Herbst in Ingolstadt

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Üblicherweise lautet die alte Bauernregel der Bundesliga: "Wenn die Blätter fallen, wackeln die Trainerstühle." Doch diesmal beginnt das alte Spiel schon im Spätsommer.

Von Philipp Selldorf

Die SpVgg Greuther Fürth setzt auch in den kommenden Jahren auf Trainer Janos Radoki", teilte die Deutsche Presse-Agentur am 19. April 2017 mit, nachdem der Coach seinen Vertrag beim Zweitligaklub um zwei Jahre verlängert hatte. Dieser Satz wurde sicherlich mit Bedacht formuliert, es ist aber ein gefährlicher Satz. Er enthält die Prognose zu einem Sachverhalt, der keine Prognosen gestattet.

Drei Wochen bevor Radoki die Verbindung mit Fürth besiegelte, hatte knapp 100 Kilometer südlich der FC Ingolstadt den Vertrag von Maik Walpurgis verlängert. Trotz des abzusehenden Abstiegs aus der ersten Liga fanden beide Seiten, dass sie wunderbar zueinander passten. Das hat sich jetzt, fünf Monate später, geändert. Walpurgis muss seinen Posten räumen. Der Betroffene mag es als schwachen Trost empfinden, dass seine Kündigung dem Zeichen der Zeit entspricht, dem Trend zur frühen Notbremse: Wenige Wochen nach dem Saisonstart haben bereits drei Zweitliga- und zwei Drittligatrainer ihren Job verloren. Dieser Sommer scheint ein vorgezogener Herbst werden zu wollen. Üblicherweise lautet ja die alte Bauernregel der Bundesliga: "Wenn die Blätter fallen, wackeln die Trainerstühle."

Nicht nur die prekären Tabellenstände verbinden die Klubs, die sich zum Handeln aufgefordert fühlten. Sowohl bei den Sportfreunden Lotte und beim Karlsruher SC als auch beim FC Erzgebirge Aue und in Ingolstadt traf es Männer, die am Anfang ihres Wirkens standen: Thomas Letsch war im Sommer in Aue als Nachfolger von Domenico Tedesco engagiert worden; Oscar Corrochano blieb in Lotte nicht mal 14 Tage im Amt (angeblich mochte ihn die Mannschaft nicht und lehnte die Teilnahme am gemeinsamen Grillabend ab); Marc-Patrick Meister war Anfang April in Karlsruhe angetreten und musste nach dem fünften Spieltag gehen. Walpurgis gesellt sich nach drei Partien ohne Punkte zu den unglücklichen Kollegen.

Lediglich Gertjan Verbeeks Entlassung in Bochum bildet unter den fünf Trennungsfällen eine Ausnahme. Verbeek, ein Anachronismus unter den neumodischen Lehrmeistern, bekam es beim VfL hin, nahezu alle relevanten Elemente gegen sich aufzubringen. In der Stadt, "wo das Herz noch zählt" (Herbert Grönemeyer), hatte der zottelhaarige Misanthrop Angst und Schrecken verbreitet, indem er auch die engsten Mitarbeiter, Spieler und Fans seine Verachtung spüren ließ. Zwei Wochen vor dem Saisonstart setzte der Klub dem Schrecken ein Ende. Immerhin hatte es der VfL mit Verbeek ("Ich bin anspruchsvoll, dominant und habe meine eigene Meinung") zweieinhalb Jahre ausgehalten.

Sein Nachfolger heißt Ismail Atalan, der zuvor die Sportfreunde Lotte trainierte (wie übrigens auch Maik Walpurgis). Bisher hat er mit Bochum erst einen Punkt geholt, einen mehr, als Radoki mit Fürth geholt hat. Das Klima in der zweiten Liga droht herbstlich zu bleiben.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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