Kommentar:Häuptling Jogi in Watutinki

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Bisher war der DFB in der Frage der Turnier-Adresse der Konkurrenz einen Schritt voraus. Diesmal könnte Konkurrent Brasilien im Vorteil sein.

Von Philipp Selldorf

Wenn die Rede darauf kam, wo sich die deutsche Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft in Russland niederlassen wird, dann riefen die Auskünfte der Eingeweihten Erinnerungen an einen Kinofilm aus dem Jahr 1956 hervor. Dieser Film handelt von einem allgewaltigen Rancher und Pferdezüchter namens Jeremy Rodack, der von James Cagney gespielt wurde, und dessen deutscher Titel lautete: "Mein Wille ist Gesetz!" Beim DFB klang das zwar etwas anders, aber ähnlich. "Am Ende entscheidet Jogi", so hieß es beim DFB. Das gilt nun aber nicht mehr so ganz.

Joachim "Jogi" Löw musste erleben, dass es Elemente im Weltfußball gibt, deren Gesetze stärker sind als sein Wille. Dass die Fifa nicht bereit ist, in der Frage der Trainingsplatz-Nutzung ihre allgemeingültigen Regularien den speziellen Wünschen der Deutschen anzupassen, ist zwar nicht der einzige Grund, warum Löws Team im Sommer in einer Kommune namens Watutinki in der Nähe von Moskau siedeln wird. Aber die formelle Haltung des Weltverbandes spielt durchaus eine wesentliche Rolle in dem Verfahren. Bekanntlich hätte es der Bundestrainer vorgezogen, an den Gestaden des Schwarzen Meeres sein Quartier einzurichten, weil er dort, im Feriendomizil Sotschi, während des Confed Cup im vorigen Sommer gute Erfahrungen gemacht hatte.

Dem Titelrivalen Brasilien ist ein Aufenthalt in Löws Wunschort Sotschi vergönnt

Sotschi ist ein Ort mit mediterraner Atmosphäre, in dem sich freie Stunden recht angenehm verbringen lassen. Mit einem Spaziergang an der kilometerlangen Promenade oder einem Bad im Meer zum Beispiel, während im Hinterland schneebedeckte Berge einen schönen Anblick bieten. Die Brasilianer haben das ebenfalls erkannt, obwohl sie gar nicht am Confed Cup teilgenommen haben. Sie werden, wie sie frühzeitig entschieden hatten, ihre Unterkunft in Sotschi nehmen, und das lässt den Vorgang fast als Grund zur Beunruhigung erscheinen. Wie kann es sein, dass ausgerechnet einem Hauptrivalen um den WM-Titel vergönnt ist, was den Deutschen verwehrt bleibt? Bisher war der DFB in der Frage der Turnier-Adresse meistens ein olympischer Champion: Der Konkurrenz immer einen Schritt voraus.

Nun sollte man die Bedeutung des Aufenthaltsortes während der knapp fünf Turnierwochen - die Finalteilnahme vorausgesetzt - nicht überschätzen. Man darf sie aber auch nicht unterschätzen, wie die schwärmerischen Erzählungen der deutschen Fußballer aus dem sagenhaften Campo Bahia belegen. Der Anteil der romantischen Wohngemeinschaft am Titelgewinn 2014 ist nicht messbar - gering war er sicher nicht.

Jetzt geht es also an den Rand der Millionen-Metropole Moskau, das klingt nach einer weniger charmanten und eher funktionellen deutschen Lösung, und so ist es wohl auch: Moskau ist der geografische Mittelpunkt des Turnieres, und wenn die DFB-Kicker ihre ehrgeizigen Ziele verwirklichen, dann wird am Ende der Veranstaltung die russische Hauptstadt das Ziel sein. Dort finden Halbfinale und Finale statt. Und dann ist es nach fünf mutmaßlich kräftezehrenden Spielen sinnvoll, wenn man keine mühsamen Reisen mehr unternehmen muss und das Stadion quasi vor der Haustür findet.

Außerdem: Watutinki. Das klingt doch geradewegs nach einem Ort im Wilden Westen und somit nach Jogi Löws Motto: Mein Wille ist Gesetz!

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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