Kommentar:Gut zu Fuß

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Als Bundestrainer war Jürgen Klinsmann mehr letzte denn erste Wahl. Doch er hat gezeigt, dass er das Talent besitzt, ein guter, womöglich sehr guter Trainer zu werden.

Von Ludger Schulze

Als reine ABM-Maßnahme für ausrangierte Nationalkicker bezeichnete der Schalker Manager Rudi Assauer die Verpflichtung von Jürgen Klinsmann. Zwar war jenes Körperteil, das der Mensch gemeinhin zur Produktion von Gedanken nutzt, bei Assauer lange vom eigenen Zigarrendampf umnebelt, doch jüngst, in den grüblerischen Qualen des Entzugs, hat er mit seinem Gebrumme eine weit verbreitete Stimmung aufgefangen.

Unternehmen 2006. (Foto: Foto: ddp)

Denn Klinsmann war keineswegs erste Wahl, sondern Hintersasse auf der Kandidatenliste. Aus den Medien schlug ihm Misstrauen wie der Atem eines schwerst Kariösen entgegen: zu jung, zu unerfahren, zu modern, zu resolut, zu amerikanisch, zu blond, zu blauäugig. Weltmeister 2006 werden? Mindestens! Aber Reformen? Neue, nicht ausgelatschte Wege?

Wo kommen wir denn da hin, das haben wir noch nie so gemacht!

Entrüstung, Entrüstung: Wo kommen wir denn da hin, das haben wir noch nie so gemacht! Ein paar Wochen sind in diesem unseren Land der eisernen Reformstau-Bewahrer vergangen, die deutsche Nationalelf hat zweimal ordentlich die Füße voreinander gesetzt, und nun: "Danke Klinsi!", wie die Berliner BZ im Namen der gewendeten Naserümpfer titelte. Auch schön, das, und zweifellos eine - zumindest vorübergehende - Entlastung für Klinsmanns "Projekt 2006".

Tatsächlich ist es verblüffend, was er in welchem Stil mit seinen Companeros Oliver Bierhoff und Joachim Löw bewirkt hat. Manches ist für den DFB revolutionär, wie etwa die Anordnung, Funktionäre bis hin zum Präsidenten Mayer-Vorfelder vom Esstisch, aus der Kabine und dem Bus zu weisen. Bei denen aber, auf die es ankommt, sind die Signale angekommen: In der Mannschaft wurde das Gefühl gestärkt, es gehe um sie, es geht nur noch um sie - und die Offiziellen sind da, um den Verwaltungsapparat zu bedienen.

Museum, Kino, Restaurant, und wenn es sein muss: PlayStation

Zweifellos ist das euphorisierte Team noch ein Stückchen zusammen gerückt, eine beachtliche Übung, denn schon unter Rudi Völler war die interne Atmosphäre das Beste, was die DFB-Auswahl anzubieten hatte. Auch die Verordnung neuer Freiheiten in der Freizeit-Programmwahl - Kino, Restaurant, Museum oder, in Gottes Namen, PlayStation - ist für junge, an einen 24-Stunden-Baby-Rundumservice gewohnte Fußballprofis ein bedeutender Schritt, Eigenverantwortung zu übernehmen. Eine Eigenschaft, die auf dem Rasen Gewinn bringend sein kann.

Dort konnte man den größten Fortschritt erkennen. Die neue Elf hat Angst und Bedenken hinter sich gelassen, sie versucht, mit Courage und Optimismus ein Bild abzugeben, das dem Land ganz allgemein gut anstehen würde. Klinsmann hat gezeigt, dass er das Talent besitzt, ein guter, womöglich sehr guter Trainer zu werden. Das aber liegt nicht allein an ihm, das liegt auch in Händen, respektive Füßen derer, die er zu Weltmeistern machen will. Wenn dies nicht gelingt? Dann wurde das Publikum zumindest zwei Jahre lang leidenschaftlich und gut unterhalten.

© SZ vom 10.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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