Kommentar:Glückwünsche nach Speyer

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Sechseinhalb Jahre alter Urin soll helfen, die Westen reinzuwaschen: Erneut bringen Nachkontrollen von London 2012 positive Proben. Es empfiehlt sich, Medaillenspiegel nur noch mit einigen Jahren Abstand zu studieren.

Von Markus Schäflein

Pünktlich zum Weihnachtsfest 2018 hat Jürgen Spieß aus Speyer eine frohe Botschaft erhalten. Wenn alles läuft wie erwartet, wird der Gewichtheber in der Rangliste bis 105 Kilogramm der Olympischen Spiele 2012 in London vom neunten auf den siebten Rang vorrücken. Der Ukrainer Alexej Torochti, der damals Gold holte, und der Usbeke Ruslan Nurudinov, der in London Vierter wurde und 2016 in Rio de Janeiro siegte, sind nach positiven Dopingproben vorläufig gesperrt worden. Bei Nachkontrollen von damaligen Urinproben wurden anabole Substanzen gefunden. Wenn die Konkurrenten nachträglich disqualifiziert werden, rückt Jürgen Spieß auf. Herzlichen Glückwunsch!

Suspendiert wurden zudem Valentin Hristov aus Aserbaidschan, in London Bronzemedaillengewinner in der Klasse bis 56 Kilogramm, der Weißrusse Michail Nowikow und die Armenierin Meline Dalusjan. Auf die Gewichtheber ist eben Verlass aus Sicht all jener, die nicht wollen, dass das Thema Doping aus dem Fokus gerät. Aber nicht nur auf sie.

"Das IOC landet im Anti-Doping-Kampf den nächsten Coup", freute sich bereits 2016 die Deutsche Presse-Agentur, als bei Nachkontrollen insgesamt 23 Athleten von London positiv getestet wurden, womit sich die Anzahl der verdächtigen Sportler zunächst auf 55 erhöhte. Viele weitere folgten, und die britische Zeitung The Mail on Sunday kam zu dem Schluss, dass es "die schmutzigsten Spiele der olympischen Geschichte waren". Womöglich waren es allerdings nur die am gründlichsten untersuchten Spiele der olympischen Geschichte.

Sechseinhalb Jahre alter Urin soll helfen, die Westen reinzuwaschen - wer sogar im Nachhinein nicht überführt wird, so lautet die Logik, hat seine Medaille oder seine Platzierung auch echt verdient. Da müssen einige schmunzeln, die Nachuntersuchungen von Rio 2016 werden von den Fans dennoch schon jetzt mit Spannung erwartet. Eine sinnvolle Idee ist, zu den Nachuntersuchungen die Athleten einzuladen, Nationalhymnen und Podestplätze vorzubereiten und die Prozedur live auf Eurosport zu senden, mit Heidi Klum als Moderatorin ("Heute habe ich leider keine Medaille für dich"). Jedenfalls empfiehlt es sich, Medaillenspiegel künftig nur noch mit einigen Jahren Abstand zu studieren. Dann sind sie total korrekt. Zumindest offiziell.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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