Kommentar:Geist aus der Flasche

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Von Thomas Kistner

Jung, Köhler, Thärichen. Drei der einst vier Leipziger Musketiere fechten nicht mehr für Olympia 2012 - der letzte aber tut, als sei nichts passiert. Er sei noch Derselbe, der im April in der nationalen Städtekür obsiegte, rief Wolfgang Tiefensee den NOK-Gästen zu, der damalige Triumph hätte viel mit ihm zu tun gehabt. Richtig. Auch sprach da wieder jener flotte Flaneur, dessen Rede die Zuhörer in Bann schlägt. Aber die Zeit für Rhetorik ist vorbei, das Siegercharisma nur noch ein Aprilscherz. Dass es für das NOK ums Durchhalten spricht, dass, wo er von Visionen redet, die Zuhörer an Provisionen denken - das müsste Tiefensee allmählich begreifen.

Sonst droht die Lage noch brisanter zu werden. Auf der Suche nach Halt greift Tiefensee gern ins Repertoire alter Schablonen; sogar Stasi-Fragen und den Ost-West-Konflikt zitierte er herbei, was sich zu einem Zeitpunkt, da Staatsanwalt und Aufsichtsbehörde an die Rathaustür klopfen, kaum mehr als Torheit deuten lässt. Eher als leise Drohung: den alten, bösen Geist aus der Flasche zu lassen, falls es nicht zum Burgfrieden kommt mit ihm, Tiefensee, dem personifizierten Osten.

Deshalb ist es wichtig, das Leipzig-Desaster einzuordnen. Hier ist es weder postkoloniale Verfahrensweise noch die Arroganz eines Westens, der dem Osten nichts zutraut, sondern allenfalls eine gewisse Demagogie, die neuen Zorn säen könnte in den Köpfen der vielen enttäuschten Menschen. Auch im Osten, man muss es klar sagen, gibt es ja ein paar hausgemachte Probleme. Aber die werden kaum jemals wirklich behoben, solange sich ihre Verursacher im Ernstfall stets aufs Neue wie Schatten in der Schar jener auflösen können, die sie betrogen haben. Um Träume, Hoffnungen, Geld.

Leipzig hat im April ein überwältigendes Votum erhalten, gerade aus dem Westen. Dafür, dass Deutschland - Bund, Sport oder Bevölkerung - die Stadt seither im Stich gelassen hätte, gibt es kein Indiz. Wohl aber jede Menge dafür, dass hier seit Jahren ein kommunales Netzwerk am Blühen ist, in das ohne Vorprüfung keine Steuermillion mehr fließen sollte. Am Leipziger Sportgeflecht haben ja von Anbeginn Leute wie Radosevic und Zögling Thärichen mit gewebt. Und Tiefensee: Der war Sportdezernent, dann OB.

Nun schiebt er das undurchsichtige GmbH-Recht vor, dass er nichts wirklich mitgekriegt habe von Umtrieben (ihm lang verbundener Leute) in der Bewerbergesellschaft. Wie passt das, wenn ihm zugleich sein Stadtrat vorwirft, selbst ein passionierter Anhänger von Unternehmensverschachtelungen zu sein? Leipzig, schimpft die CDU, sei mit mehr als hundert kommunalen Firmen wohl der Bundesliga-Tabellenführer in der Nutzung von GmbHs, und von deren mäßiger Transparenz für externe Kontrolleure.

Das spezielle Vermächtnis dieser Kommune, und das allein, hat all die Probleme verursacht. Nun vertraut der deutsche Sport Tiefensee nicht mehr, er fordert Aufklärung und geht öffentlich auf Distanz zu den handelnden Personen. Damit beginnt ein wohl aussichtsloses Rennen gegen die Zeit. Ein neues Gesicht muss her, bevor behördliche Ermittlungen womöglich die letzte Figur vom Schachbrett kippen. Die Herren der Ringe im IOC aber verfolgen diesen Prozess gespannt. Nüchtern besehen hat Leipzig nicht das letzte Gefecht in der Krise erlebt, sondern das erste Rückzugsgefecht der deutschen Kandidatur für 2012.

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