Kommentar:Falsche Ecke

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Am Ende verdichtet sich so eine Champions-League-Spielzeit nur noch auf wenige Szenen. Auf Thomas Müllers nach links getretenen fatalen Elfmeter im Halbfinale - auf Reals nach rechts getretene Elfmeter im Endspiel.

Von Klaus Hoeltzenbein

Es ist nicht überliefert, was Thomas Müller am Samstagabend kurz vor Mitternacht getan hat. Die Mauern des Hotels "Giardino" in Ascona, wo sich die deutschen Weltmeister derzeit auf die EM vorbereiten, sind aufgrund ihrer kompakten Bauweise für Paparazzi selbst mit Infrarotkameras nicht zu durchdringen, auch von einem Lauschangriff ist nichts bekannt. Offen ist also: Hat Müller auf seinem Sofakissen bereits geruht, als das Elfmeterschießen aus Mailand übertragen wurde? Oder hat er in dieses Sofakissen zornbebend hinein gebissen? Immer tiefer, je monotoner sich das Schussbild der Profis von Real Madrid entwickelte: rechts, rechts, rechts, rechts, rechts. Fünf Versuche, fünf Mal in die rechte Ecke.

Wohin, zur Erinnerung, hatte Müller geschossen? Vor zweieinhalb Wochen, als der Ball in der 34. Minute auf dem Punkt lag? Hätte Müller getroffen, wäre es das 2:0 für die Bayern gegen Atlético gewesen, höchstwahrscheinlich der Wegweiser ins Finale nach Mailand. Zurück an jenen Ort, an die Münchner nur allerbeste Elfmeter-Erinnerungen haben. Ist doch das Meazza jene Arena, in der sich im 2001er-Finale Oliver Kahn verewigte, als er im Shootout gleich drei Schützen des FC Valencia mit grimmigen Monsterparaden entnervte. Doch Müller hatte sich jüngst anders entschieden als am Samstag alle Profis von Real. Müller zielte nach links, halbhoch - offenbar ist dies, wie man es heute besser weiß, die Sahne-Seite des Torwarts Jan Oblak.

Am Ende verdichtet sich so eine Champions-League-Spielzeit nur noch auf wenige Szenen. Auf Müllers nach links getretenen Elfmeter - auf Reals nach rechts getretene Elfmeter. Offenbar wussten Real-Spione mehr über Oblaks Schwächen, dabei hatte er famos gehalten, als er im Viertelfinale Barcelona bremste und im Halbfinale die Bayern. Der nun aber, in den letzten Bildern der Saison, so irritierend hilflos wirkte wie selten ein Torwart im großen Duell. Mach was! Mach irgendwas!, hatte man ihm zurufen wollen. Es wirkte wie ein Elfmeterschießen auf das leere Tor. Als hätte dieser 23 Jahre junge Slowene einen plötzlichen Hüftschaden, der ihn hinderte, konsequent auf die Ecke links von ihm zu spekulieren. Einmal fiel er gar, aber er fuhr die Arme nicht aus. Dann staunte auch er, wie Cristiano Ronaldo, Reals letzter Rechts-Schütze, sich seines Leibchens entledigte, blitzartig wie es sonst nur Iggy Pop gelingt. Der Godfather of Punk tourt gerade wieder über Europas Bühnen, er ist jetzt 69, doch die Bauchmuskeln sind wie von Cristiano.

Apropos Altmeister. Eine Lösung hätte es vielleicht gegeben, hätte sich Atlético an Louis van Gaal orientiert, dem Godfather of Coaching. Der Holländer hatte bei der WM 2014 in Brasilien nicht nur die Welt überrascht, sondern auch seinen Torwart Jasper Cillessen, als er ihn gegen Costa Rica direkt vor dem Elfmeterschießen plötzlich hinaus befahl. Herein kam Tim Krul, ein Spezialist, der wild entschlossen in die Ecken hechtete. Zwei Elfmeter konnte Krul parieren. Godfather Louis machte daraufhin den Iggy: Stagediving in Salvador da Bahia.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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