Kommentar:Emanzipiert im Sand

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Dass Ludwig/Walkenhorst weitermachen, ist die eigentliche Freuden-Nachricht für den oft belächelten Sport in Deutschland, der längst etabliert ist.

Von Sebastian Winter

Donnerstagmorgen, Privatparty hoch oben in einem Hotel in Rio, Stadtteil Ipanema. Laura Ludwig und Kira Walkenhorst tänzeln aus dem Aufzug herein. Die neuen Beachvolleyball-Olympiasiegerinnen, die gerade die Brasilianerinnen Agatha und Barbara im Mitternachts-Finale mit 2:0 gedemütigt hatten vor 12 000 zumeist schockierten Zuschauern. Silber ist für dieses beachvolleyball-vernarrte Land schließlich ein Metall ohne Wert. Ludwig und Walkenhorst zogen hingegen als erste Europäerinnen in ein olympisches Halbfinale ein. Und sie folgten dann Julius Brink und Jonas Reckermann, die 2012 in London Gold gewannen. Ludwig also, die Zunge schwer vom Caipirinha, verspricht zu vorgerückter Stunde: "Es wäre dumm zu sagen, ich höre jetzt auf. Ich will es einfach noch mal machen." Auch Walkenhorst denkt schon an Tokio.

Dass Ludwig, die extrovertierte, 30-jährige Werbeträgerin des Deutschen Volleyball-Verbandes, und mit ihr die stillere, fünf Jahre jüngere Walkenhorst weitermachen, ist die eigentliche Freuden-Nachricht für diesen oft belächelten Sport in Deutschland. Die Goldfrauen werden in allererster Linie sich selbst, da sie die Rechte tragen, aber auch dem klammen Verband in den nächsten vier Jahren als Vermarktungsfläche dienen. Und als sportliche Vorbilder, um neue Talente zu gewinnen.

Bei Brink und Reckermann war das anders, sie hatten nach ihrem Olympiasieg alsbald wegen diverser Malaisen ihre Karriere beendet. Sie sind omnipräsent in Rio - als Kommentatoren neben dem Feld. Zugleich haben sie eine sportliche Leerstelle hinterlassen, denn die Männer spielen in der Weltspitze keine Rolle mehr. Böckermann/Flüggen, das einzige deutsche Duo an der Copacabana, schied nach drei Niederlagen in der Gruppenphase aus.

Bei Männern wie Frauen fehlt es an richtig gutem Nachwuchs. Wegen des gewaltigen Nord-Süd-Gefälles bei den Stützpunkten, weil Talente durchs Sichtungsnetz fallen oder mangels finanzieller Perspektive lieber studieren. Allein die Tatsache, dass kaum Talente ganzjährig im Sand stehen, ist ein Problem. Und noch immer sehen viele Hallentrainer Beachvolleyball als gewinnbringendes Sommer-Fitnessprogramm für die Spieler - und als Konkurrenz.

Für Rio hatte sich kein deutsches Hallen-Nationalteam qualifiziert. Währenddessen überträgt der Bezahlsender Sky seit Jahren die deutsche Beachvolleyball-Serie. Spitzenduos wie Ludwig und Walkenhorst, die als Ich-AGs mit eigenem Trainerstab durch die Welt reisen, verdienen bei einem Turnier bis zu 100 000 Dollar. Der Sandsport hat sich emanzipiert - für tragfähige Jugend-Konzepte muss bis Tokio der Verband sorgen.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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