Kommentar:Eine Qual

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Beim Wechsel von Bastian Schweinsteiger zu Manchester United wurde diskutiert wie selten zuvor bei einem deutschen Transfer.

Von Klaus Hoeltzenbein

Uli Hoeneß hätte vermutlich eine öffentliche Träne vergossen. Karl-Heinz Rummenigge hingegen ist Westfale, also eher trocken, doch auch ihm war anzumerken, wie er nach Worten rang. Rummenigge ist raus in die Arena, zu all den Schweini-Jüngern, und hat die Prügel, hat die Pfiffe kassiert. Er trat am Samstag bei der Teampräsentation des FC Bayern 2015/16 vors Publikum und offenbarte, dass der Säulenheilige des Vereins nun nicht mehr da sein wird. Sie waren ja immer besonders stolz auf ihr in Europas Spitzenklasse allenfalls noch vom FC Barcelona betontes Zwei-Säulen-Modell: Der Kern des Betriebes - die Lahms, Müllers und eben der Ur-Bayer Schweinsteiger - wird in der Familie, wird dahoam ausgebildet; der Rest dann aus aller Welt passend zugekauft.

Womöglich wäre Hoeneß, der Emotionsbolzen, sogar noch mit einem Blumenstrauß bei der Tennis-Queen Ana Ivanovic vorstellig geworden. Mit der Bitte, das junge Paar möge sich das alles noch einmal gut überlegen. Aber in einem dürften sich Hoeneß, der einst das Fan-Volk von den kontroversen Personalien ("Koan Neuer!") zu überzeugen hatte, und Rummenigge, der heute ans Mikrofon muss, sobald der Chef gefordert ist, immer einig sein: Das, was Bastian Schweinsteiger in Manchester erwartet, hätte er in München nie bekommen. Keinen verlängerten Vertrag bis 2018, kein Stammplatz-Versprechen und kein Gehalt, das in der Premier League durchaus mal doppelt so hoch sein kann wie in der deutschen Bundesliga.

Und doch hätten die Bayern auf ihren Vertrag bis 2016 pochen können. Das haben sie nicht, und sie haben auch nicht den Münchner Gärtnerplatz von der Polizei abriegeln lassen, um eine Trennung von Haus und Hof zu verhindern. Sie haben einen Volkshelden nahezu kampflos ziehen lassen. Nicht spontan, sondern nach einem Denkprozess, in dem Einerseits-andererseits-Abwägungen turmhoch auf dem Tisch lagen wie nie zuvor bei einem deutschen Transfer. Beginnend damit, dass - einerseits - von Klub-Vorstand Rummenigge verlangt wird, dass er den notwendigen Umbruch, die Verjüngung beim Rekordmeister moderiert. Andererseits: Musste damit beim Bayern-Basti begonnen werden?

Und wie erklärt man das der Kundschaft? Denen, die jetzt, einerseits, protestierend auf dem Zaun stehen; von denen viele, andererseits, aber auch wieder auf dem Zaun sein werden, sobald der verlangte Umbruch stockt. Dieser muss ja auf höchstem Niveau erfolgen, da sind die Münchner Gefangene ihres eigenen Erfolgs: In der Schweinsteiger-Ära erlebten sie von 2010 bis 2015 drei Champions-League-Finals, mit dem 2013er-Sieg gegen Dortmund als Sternstunde.

Einerseits heißt es nun, Schweinsteiger sei ein Königsopfer gewesen, um Trainer Pep Guardiola positiv zu stimmen und von der Qual der Wahl im Mittelfeld zu erlösen. Andererseits ist man der von Rummenigge energisch angestrebten Vertragsverlängerung mit dem Trainer über 2016 hinaus wohl kaum nähergekommen. Es wird auch im Transferfall Schweinsteiger sein wie immer: Ob richtig oder falsch, wird erst später, in der Rückschau, verdammt oder geadelt. Im aktuellen Münchner Einerseits-andererseits ist der Fußballer, der bald 31 wird, vermutlich bereits zu ersetzen. Schweinsteiger, der Säulenheilige, die Folklore-Figur, ist es noch lange nicht.

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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