Kommentar:Ein Vollendeter

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Bundestrainer Werner Schuster (re.) motiviert Springer David Siegel beim Auftakt der Vierschanzentournee 2019 in Garmisch-Partenkirchen. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Fast alle Titel hat der Trainer Werner Schuster mit den deutschen Skispringern gewonnen, nur bei der Vierschanzentournee zerschellen die Träume seines Teams Jahr für Jahr. An seinem Vermächtnis ändert das jedoch nichts.

Von Matthias Schmid

Der Skispringer Richard Freitag hatte sich in Innsbruck vor ein paar Tagen das schönste Plätzchen ausgesucht, um noch einmal kurz zu entspannen vor dem Wettkampf. Direkt unterhalb des Schanzentisches stand er, und von dort oben öffnet sich ein atemberaubender, aber gleichzeitig auch furchteinflößender Blick auf den Kessel des Skistadions, weil man dahinter auch die Gräber eines Friedhofes erkennen kann. Freitags Hoffnungen auf den Gesamtsieg der Vierschanzentournee waren im vergangenen Jahr hier am Bergisel zerschellt. Er war damals der einzige Springer, der mit dem famosen Polen Kamil Stoch irgendwie mithalten konnte - bis er bei der Landung im Innsbrucker Regen stürzte.

Werner Schuster, der deutsche Bundestrainer, wohnt nicht weit weg von der Olympiaschanze, er hat in Innsbruck auch einst Sport und Psychologie studiert. Angesprochen darauf, wie er verhindern könne, dass Markus Eisenbichler nun das gleiche Schicksal im Duell mit dem Japaner Ryoyu Kobayashi ereile, antwortete Schuster jüngst in Garmisch-Partenkirchen: Dann präpariere er die Anlaufspur halt selber. Das war natürlich nicht ernst gemeint. Aber am Ende könnte letztlich schon auch Eisenbichlers Tournee-Hoffnung am Bergisel zerschellt sein - zu viele Meter verlor er auf Kobayashi.

Und so liegt hinter Schusters ironischem Einwurf eine für ihn bittere Wahrheit: Schuster, der Österreicher aus dem Kleinwalsertal, das nur über Bayern zugänglich ist, hat als Trainer der deutschen Skisprung-Nationalmannschaft alles gewonnen, was das Skispringen so an Titeln hergibt: Olympiasieger im Einzel und mit der Mannschaft ist er geworden, Gesamt-Weltcupsieger, Weltmeister im Skispringen und im Skifliegen - eine beeindruckende Sammlung. Nur die Vierschanzentournee hat er nicht gewonnen. Weder Severin Freund noch Richard Freitag oder jetzt Markus Eisenbichler durften oder dürfen das Treppchen ganz nach oben steigen. Aber ist Schuster deshalb ein Unvollendeter, wie manche glauben?

Schusters Vermächtnis braucht die Vierschanzentournee nicht

Seit 2008 arbeitet er als Bundestrainer beim Deutschen Ski-Verband (DSV), seine elfte Saison könnte jetzt seine letzte werden. Sein Vertrag läuft zum Ende des Winters aus, weder er noch der DSV haben sich bisher dazu geäußert, wie es weiter gehen könnte. Aber eines steht fest: Ein Unvollendeter ist Schuster, 49, ganz sicher nicht. Dafür hat er zu viel geleistet. Er war einst nach der Ära der überfliegenden Popstars Sven Hannawald und Martin Schmitt als Entwicklungshelfer angetreten, Skispringen war praktisch in der Versenkung verschwunden, kaum jemand interessierte sich noch dafür. Der DSV hatte sich lange von den sogenannten "Boomjahren" blenden lassen und vergessen, die erfolgreichen Strukturen weiterzuentwickeln und sie den neuesten wissenschaftlichen und sprungtechnischen Kenntnissen anzupassen.

Dann kam Schuster. Er entwickelte ein riesiges Förderprogramm mit ganzheitlichen Ansätzen und einheitlichen Trainingsplänen bis hinunter in den Nachwuchs, er baute dezentrale Stützpunkte mit renommierten Trainern wie Christian Winkler auf, aus denen zum Beispiel der Olympiasieger Andreas Wellinger hervorgegangen ist. Schuster hat den DSV grundlegend verändert und so das deutsche Skispringen mit viel Know-how und Akribie in die Moderne geführt. Es ist wider chic, sich Skispringen live an der Schanze oder im Fernsehen anzusehen.

Das ist Schusters Vermächtnis an den DSV, dazu braucht er den Gesamtsieg der Vierschanzentournee nicht, den man ohnehin nur schwer planen kann, weil er voller Unwägbarkeiten ist. Schuster ist ein Vollendeter, dem viel mehr gelungen ist, als alle - inklusive er selbst - sich ausgemalt hatten. Als Severin Freund 2015 in Falun zum Weltmeister-Titel flog, sagte Schuster hinterher: "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Weltmeister abwinken darf." Dieser Satz beschreibt Werner Schuster am besten, er ist ein zurückhaltender Mensch, der sich nicht gerne in den Vordergrund schiebt, viel lieber arbeitet er im Hintergrund und tut von dort aus alles dafür, dass seine Springer im Scheinwerferlicht glänzen können.

© SZ vom 06.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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