Kommentar:Ein Maßstab, kein Vorbild

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Von Andreas Burkert

Vor drei Wochen ist Lance Armstrong angetreten, als erster Mensch die Tour de France zum sechsten Mal zu gewinnen. Nicht alle haben ihm das zugetraut, fern wie die Milchstraße erschien dieser in hundert Jahren unerreichte Rekord. Zumal sich der Titelverteidiger im Frühjahr plötzlich mit hinteren Podestplätzen begnügte und so viele Herausforderer wie nie Ansprüche auf das Erbe des Texaners anmeldeten. Jan Ullrich ist als einziger von ihnen im Rennen verblieben, doch eine Gefahr hat der fünfmalige Tourzweite für Armstrong zu keiner Zeit dargestellt. Andreas Klöden schönt aus Sicht der Verantwortlichen mit seinem bemerkenswerten Aufstieg die Bilanz seiner Mannschaft nur bedingt. Über die Gründe für eine Tour unerfüllter Zielvorgaben wird in der T-Mobile-Mannschaft heftig diskutiert.

Drei Wochen nach dem Tourstart in Lüttich ist Lance Armstrong beinahe unbehelligt und als Legende in Paris eingetroffen, sein Rekord ist womöglich einer für die Ewigkeit. Denn niemals zuvor ist ein Athlet das härteste Rennen der Welt derart professionell angegangen, beflügelt von einem extremen Ehrgeiz, dessen Ursprung fraglos in der Bewältigung seiner schweren Krebserkrankung liegt. Armstrong wirkt in seinem Perfektionsstreben wie ein Bruder des deutschen Automobilsportlers Michael Schumacher, und ähnlich wie beim Kerpener PS-Piloten reagiert das breite Publikum auf diese Dominanz mehr mit Respekt und Erstaunen als mit tiefer Zuneigung.

Armstrong hat sein Ansehen in diesem Jahr nicht überall gemehrt, seine Gier nach Erfolgen auch in Sprintduellen diente manchem als Beleg, bei ihm handele es sich um eine robotergleiche Sportmaschine. Der Kultur des Radsports mag Armstrong mit der neu entdeckten Neigung zur machohaften Selbstdarstellung nicht entsprochen haben, doch der unselige Ritus der geschenkten Erfolge ist ohnehin ein verzichtbarer Anachronismus. Seinen sehr amerikanischen Stil, mit dem Armstrong in die Geschichtsbücher pedalierte, braucht ihm also niemand vorwerfen, zumal er so viel wie kein anderer in seinen Sport investiert.

Armstrong hat Einzigartiges erreicht, doch eine ähnliche Hingabe wie für seine Passion und sein soziales Engagement im globalen Kampf gegen den Krebs würde man sich von einem Champion auch für das Duell seines Metiers mit dem größten Feind wünschen. Denn auf das Thema Doping reagiert Armstrong weiterhin gereizt, er distanziert sich nicht von seinem sehr schlecht beleumundeten Sportarzt - und er scheut nicht einmal vor selbstherrlichen Akten der Selbstjustiz zurück, wenn es darum geht, einen vermeintlichen Nestbeschmutzer wie den Italiener Simeoni zu maßregeln. Lance Armstrong hat dieses Jahr bei der Tour endgültig die Diktatur eingeführt.

Er ist seinem dominanten Charakter gefolgt, er hat seine Gegenspieler früh eliminiert und als Sportler ziemlich eindrucksvoll Geschichte geschrieben. Für Generationen wird er damit ein Maßstab

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