Kommentar:Ein kleiner Tod

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Messi wird als Unvollendeter in die Fußball-Historie eingehen. Das Urteil aber ist ungerecht. Sein Problem: Er spielte gegen Maradona an.

Von JAVIER CÁCERES

Edson Arantes do Nascimento alias Pelé pflegt die Frage nach dem besten Fußballer der Weltgeschichte mit feiner Ironie zu beantworten. Unter den Argentiniern gäbe es diverse Denkschulen: Erst hätten sie Alfredo Di Stéfano genannt, später Diego Maradona, zuletzt Lionel Messi. Für den Diskussionsverlauf wäre es dienlich, wenn sich die Argentinier untereinander einigen würden, wen sie für den Besten hielten. Dann könne man gerne mal reden. Nun hat sich die Diskussionsgrundlage geändert: Messi hat seinen Rücktritt aus Argentiniens Nationalmannschaft erklärt, und ob sein relativierender Nebensatz ("Ich glaube, das war's") wirklich eine Tür zur Umkehr offen lässt, ist unwahrscheinlich. Auch wenn nun der Weltfußballverband Fifa und die Werbepartner Messis im Bangen um ihren Reibach vor der WM 2018 massiven Druck ausüben dürften, um ihn umzustimmen.

Und so sieht sich Messi zumindest vorerst einem vernichtenden Urteil gegenüber. Denn in einer Welt, die nichts anderes gelten lässt als bloße Ergebnisse, und darüber vergisst, was er schon jetzt für dieses Spiel bedeutet hat, gilt Messi als Unvollendeter. Als Gescheiterter. Zumindest was die Unvollkommenheit anbelangt, ist er in bester Gesellschaft: Di Stéfano nahm an einer WM nicht einmal teil; der Niederländer Johan Cruyff war 1974 immerhin WM-Finalist, George Best war Nordire, und wer weiß schon, welche Dimension der begnadetste deutsche Fußballer nach Beckenbauer, Bernd Schuster, erreicht hätte, wären seine Wege nicht von Andoni Goikoetxea gekreuzt worden, der ihn in den Achtzigerjahren zusammentrat. Schuster wurde immerhin Europameister. Messi hat nun zum dritten Mal das Endspiel einer Copa América verloren, außerdem das WM-Finale 2014 gegen Deutschland. Nun ist er es, mit gerade 29 Jahren, leid, weiter Sisyphos zu spielen, und reißt andere mit sich. Gonzalo Higuaín, Sergio Agüero und Javier Mascherano erwägen einen Rücktritt, die Zukunft von Trainer Gerardo Martino ist ungewiss. Zwei Jahre nach dem WM-Finale von Rio ist Argentiniens Fußball implodiert. Und Messi starb einen kleinen Tod.

Der Fußball ist, wie das Leben, eine Serie von Kollisionen mit der Zukunft: Wir seien nicht, was wir waren, sondern was wir zu sein ersehnen, schrieb der spanische Philosoph José Ortega y Gasset. Ein anderer Philosoph, der frühere argentinische Weltmeister Jorge Valdano, schrieb, Messi spiele Finals nicht um der Glorie willen. Sondern: Damit ihm vergeben werde, unter anderem für alle verlorenen Endspiele.

Messi hat einen ausweglosen Kampf verloren - gegen das, was war. Er verlor nicht gegen die eigene Vergangenheit, sondern jene, die Maradona verkörpert, seit dieser vor 30 Jahren bei der WM in Mexiko England im Alleingang besiegte, Argentinien einen WM-Titel schenkte, sich in einen Mythos verwandelte, der unbezwingbar ist. Sogar für Messi, den vielleicht besten Spieler der Historie.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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