Kommentar:Der Blutservice liefert nicht mehr

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Von den Favoriten, die den Doping-Skandal überstanden haben, sieht man bei dieser Tour wenig. Es scheint die sauberste Frankreich-Rundfahrt seit langem zu sein.

Andreas Burkert

Das Klassement der 93. Tour wird am Samstag festgeschrieben, und vermutlich wechselt das gelbe Trikot zum zehnten Mal den Besitzer. Ein schöner Rekord einer überhaupt recht unterhaltsamen Rundfahrt, wenn man absieht von nervtötenden Episoden aus Lug und Betrug.

Die aufschlussreichsten Details entdeckt übrigens erst derjenige, der die Ergebnislisten durchforstet nach der Prominenz, die (noch) nicht im Morast der Madrider Dopingaffäre versumpfte. Und diese in den Zahlenkolonnen versteckten Wahrheiten sind nicht nur amüsant. Sondern auch hochverdächtig.

Vor dem Finale führt also ein patenter Außenseiter (Pereiro), dem die Arroganz der neuerdings nicht mehr ausdauernden Konkurrenz 30 Minuten Zeitgutschrift verschaffte.

Gleich hintendran liegt ein deutscher Schlaks (Klöden), der erst seit zehn Wochen wieder Rennen fährt nach bösen Verletzungen. Auch ein bisher unbekannter Franzose (Dessel) ist vorne dabei, der selbst in steilsten Rampen nicht aus der Spitze kippte.

Tour ohne Dopingservice

Vermeintliche Kronprinzen wie Leipheimer, Popowitsch, Karpets oder Hincapie waren dagegen chancenlos beim Wettbewerb, dem die ersten Fünf des Jahres 2005 fehlen. Andere wie Rubiera oder Simoni sind im Souterrain des Tableaus verschollen.

Mit moralischen Nachwirkungen ist der Trend kaum zu erklären, diese Mär haben gerade die von den Kapitänen verlassenen Teams T-Mobile und CSC eindrucksvoll widerlegt mit ihren Erfolgen.

Sagen wir es also ganz einfach und ohne Scheu vor den Anwälten, die sich derzeit eine goldene Nase verdienen, indem sie unanständige Winkelzüge vollziehen, anstatt die moralische Pflichterfüllung ihrer Mandaten zu fördern: Diese Tour ist vermutlich die sauberste seit langem, weil plötzlich der spanische Blutservice nicht mehr ans Telefon geht und/oder selbst die dreistesten Doper die Hosen voll haben.

Das ist eine gute Nachricht, obwohl weiterhin nur Masochisten die Hand ins Feuer legen für ein seuchenfreies Feld. Damit die Tour auch künftig verrückt spielt und sich die Hauptdarsteller den Anschein von fehlbaren Menschen erhalten, bedarf es allerdings weiterer Aktionen wie der Razzia in Madrid. Der Radsport muss sich wohl erst vor der Staatsgewalt fürchten, damit er ausdauernd unterhaltsam bleibt.

© SZ vom 22.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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