Kommentar:Ausmisten im Stall

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Ein Unfall, der keiner war und ein Land, das seine früheren Helden nicht mehr stützt: Der Fall Kenteris und Thanou.

Von Thomas Kistner

Groß war das Medienecho auf den Sturz der griechischen Götter Kenteris und Thanou, am schmerzhaftesten ist nun der Widerhall in den Anzeigenspalten der Zeitungen: Dort werden tausende Tickets für jene Sprintbewerbe feil geboten, bei denen Hellas' Volkshelden starten sollten. Dass die olympischen Königsdisziplinen auf dem Wühltisch landen, ist ein neuer Trend bei den Spielen und kaum dienlich für den heiteren Fortgang, dass sich das IOC selbst Schrammen zugezogen hat in der Motorradsturz-Posse.

In Athen und aller Welt regt sich Kritik an der Hinhaltetaktik der IOC-Kommissionäre unter dem deutschen Vize Thomas Bach. Die trugen nichts zur Lösung der Affäre bei, abgesehen von dem diskreten Tipp, dass sie keine Athleten aussperren könnten, die keine Akkreditierung besitzen.

Ein Land in Rage

Nach tagelangem Zögern beschritten die Athleten die Brücke zum Goldenen Ausgang, aber nicht, weil das IOC so furchtbar Druck hinter den Kulissen machte, wie Bach erzählte, sondern weil sie längst ein Problem von Augias-Dimensionen vor Augen haben: Ihr Unfall war getürkt, Verletzungen gab es nicht, das Land ist in Rage. Das saubere Pärchen, das Staatschef Stefanopoulos interessanterweise ja schon am Wochenende als "Schande Griechenlands" bezeichnet hat, wäre auf Grundlage der ethischen Verhaltensrichtlinien bei Olympia leicht früher zu entfernen gewesen.

Nun gingen sie selbst, und es ist nur noch peinlich, wenn der allzeit mit Paragrafenkauderwelsch gewappnete IOC-Mann Bach nach Lorbeeren schnappt, die viel zu hoch hingen für sein juristisches Frage-Terzett.

Für IOC-Präsident Jacques Rogge indes setzt dieser Rückschlag ein wichtiges Signal. Um den Saustall Spitzensport auszumisten, genügt es keineswegs, das Kontrollnetz enger zu ziehen. Darin mögen sich zwar mehr und mehr kleine Fische verheddern - gestern wurden sieben Gewichtheber aus Indien, Moldawien, Türkei, Ungarn, Marokko und Myanmar eingesackt - , auch operieren die Kontrolleure schon so verdeckt, dass sie selbst vom FBI für Touristen gehalten werden (wie bei einem Blitzbesuch im US-Quartier auf Kreta, bei dem leider nicht alle Leichtathleten auffindbar waren). Doch entwertet sich diese löbliche Entschlossenheit von allein, wenn es bei großen Namen so starke Berührungsängste gibt.

Rogges Kernproblem ist, dass die juristisch befeuerte Laissez-faire-Mentalität aus den Zeiten des Vorgängers Samaranch in seinem IOC virulent blieb. Der griechische Sportminister Jorgos Orfanos steuerte gestern ein spannendes Detail dazu bei: Vor drei Jahren habe ihn IOC-Boss Samaranch aufgefordert, Spitzensportler zu produzieren, um die Stadien zu füllen. Tolle Idee, nur: Wie produziert man Topathleten in so kurzer Zeit? Die Antwort konnte in Griechenland nur einer geben: Der üble Hormon-Guru Kostas Tsekos, Trainer der Sprinter. Kenteris hat sich übrigens deshalb von ihm getrennt, weil ihn der Coach nicht schon am Wochenende die Akkreditierung zurückgeben ließ. Auf der IOC-Linie wäre der Sünder tatsächlich besser gefahren. Das ist schade für ihn, und schlecht für Olympia.

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