Kommentar:Auf zum Neujahrsspringen!

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Die unzähligen Spiele stellen die Trainer der Topklubs vor neue Herausforderungen. Wie sie damit umgehen, entscheidet über Erfolg.

Von Christof Kneer

Hansi Flick hat nach dem Spiel in Stuttgart einen Satz gesagt, dessen Kuriosität ihm vermutlich gar nicht aufgefallen ist. Der Leon, sagte Flick aus alter Gewohnheit und meinte seinen hoch belasteten Mittelfeldspieler Goretzka, müsse jetzt "noch drei Wochen durch", dann sei endlich Winterpause.

Zur Winterpause in der Bundesliga ist aber zu sagen, dass diesmal kein Team nach Katar fliegen wird oder nach Marbella oder ins berühmte Belek, und das liegt nicht daran, dass Corona die Reisetätigkeit untersagt. Es liegt eher daran, dass der FC Bayern am 3. Januar schon wieder ein Spiel hat, sonntags gegen Mainz, und am Freitag, 8. Januar, geht's nach Gladbach. Man wird zu diesem Zeitpunkt schon wissen, wer die Vierschanzentournee gewonnen hat, falls den Bayern das bei der Spielvorbereitung hilft. Andere Bundesligisten werden bereits am 2. Januar zum Einsatz kommen, der größte Teil des 14. Spieltags ist einen Tag nach dem Neujahrsspringen angesetzt und kommt somit der Qualifikation fürs dritte Springen in Innsbruck in die Quere.

Man hat sich daran gewöhnt, dass die verrückten Engländer über Weihnachten und Neujahr durchspielen, während hierzulande bisher ausschließlich Biathleten schossen. In diesem Winter schießen nun auch die Stürmer, und das hat dann doch mit Corona zu tun. Nach der verspätet beendeten vergangenen Saison wird die aktuelle in einem Rhythmus durchgezogen, den es noch nie gab - ein Rhythmus, dessen Folgen sich nun erahnen lassen.

Der FC Liverpool hat gerade 1:1 in Brighton gespielt, worauf Jürgen Klopp ebenso wütend reagierte wie kürzlich Thomas Tuchel ("die Spieler sind tot"), dessen Pariser nun 2:2 gegen Bordeaux spielten ("nur" 1:1 und "nur" 2:2 darf man nicht sagen, sonst schimpfen die Trainer bestimmt). Weitere Beispiele vom Wochenende: Real Madrid - Niederlage gegen Alavés, sechs Punkte Rückstand auf Atlético und San Sebastian. Juventus Turin - 1:1 in Benevento, vier Punkte Rückstand auf Milan. Und der FC Bayern: "am Limit", wie selbst der des Seufzens unverdächtige Hansi Flick einräumt. Europaweit schleppen sich angeschlagene Stars über die Spielfelder, sie tragen ihre großen Namen auf dem Trikot und schüren die üblichen großen Erwartungen, aber im Moment heißen sie nur Neymar und Mbappé und können nicht so spielen.

Es wäre nun selbstredend der falsche Reflex, jene berühmten Männer zu bemitleiden, die das Privileg genießen, trotz Corona Fußball spielen zu dürfen. Dennoch kann derzeit keiner abschätzen, wie all die Mannschaften im März aus diesem Winter kommen werden, der ja gerade erst beginnt. Es gibt keinerlei Erfahrungswerte, aber man darf schon jetzt vermuten, dass die Ligen enger und die Wettbewerbe unfreiwillig spannender werden.

Für die Trainer von Europas Topklubs stellen sich nun völlig neue Herausforderungen, sie müssen nicht nur über taktischen Modellen brüten, sondern auch die passende Haltung zu diesem irren Kalender entwickeln. "Der, der die Bedingungen am besten annimmt, hat den größten Erfolg. Und das wollen wir sein"- das sagt der unaufgeregte Hansi Flick, es könnte das Motto der Saison werden. Wer die Nerven nicht verliert, gewinnt.

Im Juni folgt übrigens noch eine EM, die abgehetzten Spieler müssen dann direkt zu Jogi Löw. Ob der dann noch Bundestrainer ist, weiß ebenfalls niemand, aber das ist eine andere Geschichte.

© SZ vom 30.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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