Kommentar:Ammersee Blues

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Die Volleyball-Liga plant ihre Professionalisierung. Dass Herrsching mangels tauglicher Halle auswärts spielen muss, zeigt: Der Plan stößt an Grenzen.

Von Sebastian Winter

Herrsching ist ein idyllisches 10 000-Einwohner-Städtchen am Ammersee, südwestlich von München lässt es sich dort gut leben, auf die Berge blicken - und seit 2014 auch richtig professionell Volleyball spielen. Fast jedenfalls: Der Etat des "geilsten Clubs der Welt", so die Eigenvermarktung, liegt bei nicht mal einer halben Million Euro, die Nikolaushalle ist nicht regelkonform, zu klein, zu flach. Dafür wird in dem schnöden Backsteinbau richtig Spektakel vor meist ausverkauftem Haus geboten. Auf dem Feld, wo sich Herrsching dieses Jahr für das Pokal-Halbfinale qualifiziert hat - natürlich der größte Erfolg der Vereinsgeschichte - und auch daneben: Vor Anpfiff fährt der als Kini verkleidete Hallensprecher schon mal mit roter Robe zepterschwingend auf Skiern herein, die Spieler müssen allerlei Schabernack mitmachen, um ihr Publikum auch auf den Social-Media-Kanälen zu unterhalten.

Die Gaudi ist jetzt aber vorbei, vor dem Pokal-Halbfinale an diesem Donnerstag gegen Meister Berlin hat die Volleyball-Bundesliga (VBL) Herrsching das Heimrecht entzogen - eben wegen der regelwidrigen Halle. Die Partie geht in der Hauptstadt über die Bühne, das Heimspiel des Jahres fällt für Herrsching aus. Formal ist das richtig, geil aber nicht.

Die Schere zwischen den Goliaths und Davids klafft auseinander

Vielmehr ist es ein bislang einmaliger Vorgang im deutschen Volleyball. Einen solchen Heimrechtsentzug in einem Pokalhalbfinale hat es noch nicht gegeben. Der Außenseiter verliert dadurch wichtige Zuschauereinnahmen, Berlin musste binnen zwei Wochen ein Heimspiel organisieren. Fataler ist jedoch der Imageschaden, der über Herrsching hinaus bis zur VBL-Zentrale in der Hauptstadt reicht. Der Ligaverband sucht seit Jahren nach Zentralvermarktern und mehr TV-Präsenz. Und er muss erneut erkennen, dass sein 2014 verabschiedeter, von 90 Prozent der Bundesligisten mitgetragener, aber in Teilen überehrgeiziger Professionalisierungs-Plan an Grenzen stößt. Nicht nur in Herrsching übrigens, sondern auch an anderen Erstligastandorten, wie bei Aufsteiger Solingen, der punkt- und schmucklos am Tabellenende steht, oder Aachen bei den Frauen. Die Schere zwischen wenigen Goliaths und vielen Davids ist nicht kleiner geworden. Auch das Dilemma, dass viele Zweitliga-Meister finanziell bedingt gar nicht aufsteigen wollen, bleibt bestehen.

Herrsching ist Fünfter, sportlich ist der Positivtrend unverkennbar. Doch wenn der Klub bis Saisonende kein neues Hallenkonzept hat, hat er die längste Zeit erste Liga gespielt. Überhaupt haben die Aufmüpfigen vom Ammersee sich und der Liga nach dem Pokalspielentzug keinen Gefallen getan, als sie die Entscheidung der VBL als "völlig unprofessionell" bezeichneten. Der Dachverband, zu dessen Stärke die Kommunikation mit den Klubs gewiss nicht zählt, hat sich nur an die Regeln gehalten. Herrsching aber hat es nicht geschafft, bewusst oder unbewusst, sein Spektakel in einer tauglichen Halle unterzubringen. Obwohl es 50 Kilometer weiter östlich in Unterhaching eine gäbe.

© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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