Kommentar:Abschied vom Abstellgleis

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Trotz des frühen WM-Aus gilt: Wer auch immer DHB-Trainer wird, übernimmt einen Zug, den Dagur Sigurdsson wieder auf das richtige Gleis gesetzt hat.

Von Joachim Mölter

Es gibt einen Mann, der erleichtert sein dürfte über das frühe WM-Aus der deutschen Handballer: der künftige Bundestrainer, der Nachfolger von Dagur Sigurdsson. Was der Isländer dem Deutschen Handballbund hinterlässt nach nur zweieinhalb Jahren Tätigkeit, wiegt sowieso schwer mit EM-Gold und Olympia-Bronze. Eine WM-Medaille wäre eine zusätzliche Belastung gewesen für den neuen Mann, egal, ob der nun Christian Prokop heißt oder Markus Baur. Die Trainer der Bundesligisten aus Leipzig und Stuttgart sind bekanntlich im Gespräch für den Posten.

Wer immer den einnimmt, übernimmt einen Zug, den Sigurdsson wieder auf das richtige Gleis gesetzt hat, wie es der DHB-Vizepräsident Bob Hanning formuliert hat. Die Lokomotive des Handballsports, als welche die Männer-Nationalmannschaft gern bezeichnet wird, war ja nach dem WM-Triumph von 2007 aufs Abstellgleis geraten. Sigurdsson hat sie wieder flott gemacht, er hat den Spielern neues Selbstbewusstsein eingetrichtert, hat ihnen neue taktische Varianten eingebläut mithilfe der roten Magneten auf seinem blauen Täfelchen, das sein Markenzeichen wurde. Der Isländer hat die Nationalmannschaft erneuert, innovativ, akribisch, konsequent. "Er hat uns unglaublich nach vorne gebracht", würdigt Hanning die Leistung des Mannes, den er erst zu den Füchsen Berlin in die Bundesliga holte und dann ins höchste Traineramt des Handball-Landes beförderte.

Das WM-Aus vom Sonntag ist zwar schade, weil dem Isländer im Spiel gegen Katar all seine taktischen und psychologischen Fähigkeiten abhanden gekommen zu sein schienen und er den Beweis des Gegenteils nicht mehr antreten kann. Seine Gesamtbilanz trübt der Rückschlag freilich kaum. Zumal er in gewisser Weise angekündigt und einkalkuliert war. Sigurdsson hatte stets betont, dass es einen Rückschlag geben werde, dass der zur Entwicklung einer großen Mannschaft dazugehört. Und wenn die deutsche aus dem Blackout von Paris lernt, dass es bei internationalen Turnieren keine Selbstläufer zum Erfolg gibt, hat sie ja schon wieder was gewonnen.

Trotzdem bleiben die großen Ziele: WM-Medaille 2019, der Olympiasieg 2020 in Tokio

An den Zielen des Verbandes ändert weder die Niederlage gegen Katar etwas noch der Weggang von Sigurdsson: WM-Medaille 2019 beim Turnier im eigenen Land und Olympiasieg 2020 in Tokio. Dort werden die deutschen Handballer wohl auch Sigurdsson wiedersehen, als Coach der Japaner. Der Isländer wird die deutsche Mannschaft vermissen, das hat er zugegeben: "Sie wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren Titel gewinnen, dann ist es natürlich etwas bitter, wenn man nicht dabei ist."

Franz Beckenbauer hat als Teamchef der deutschen Fußballer seinem Nachfolger Berti Vogts nach dem WM-Triumph von 1990 eine untragbare Last mit auf den Weg gegeben, als er sagte, die DFB-Elf werde "auf Jahre hinaus unschlagbar" sein. Das hat Dagur Sigurdsson seinem Nachfolger erspart. Er hinterlässt ihm aber gute Voraussetzungen, um die Erfolge künftig selbst zu feiern.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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